Interview in English: Interview Sheryl Fink
In den letzten Teilen der Serie zum EU-Handelsverbot für Robbenprodukte sprachen wir mit dem Forscher Nikolas Sellheim hauptsächlich über die Auswirkungen der Robbenjagd auf die Jäger. Heute soll die Tierschützerin Sheryl Fink zu Wort kommen, die beim International Fund for Animal Welfare (IFAW) die Robbenkampagne leitet.
Sherryl hat einen Bachelor of Science (BSc, Hons) in Wildtierbiologie und beobachtet seit mehr als zehn Jahren die kommerzielle Robbenjagd in Kanada für den IFAW. Im Rahmen ihrer Arbeit verfasste sie Berichte für das kanadische Fischereiministerium, in denen sie geplante Änderungen der Schutzbestimmungen für Meeressäuger (Marine Mammal Regulations) kommentierte oder eine bessere Kontrolle der kommerziellen Robbenjagd in Kanada forderte. Zudem schrieb Sheryl für den IFAW einen Expertenbericht für die Europäische Kommission, als diese dabei war die möglichen Auswirkungen eines EU-Handelsverbots für Robbenprodukte einzuschätzen.
Hallo Sherryl, wie bist du darauf gekommen dich für den Robbenschutz einzusetzen?
Das kam durch mein Studium in “Wildlife biology”, nicht durch den Tierschutz. Es war also nicht der übliche Weg. Als junge Biologiestudenten hatten wir einen Kurs über Politik von natürlichen Ressourcen, der die kanadische und internationale Tierpolitik untersuchte. Eine der Fallstudien betraf den Zusammenbruch des Atlantischen Kabeljaus und Kanadas kommerzielle Robbenjagd. Wir untersuchten, wie sowohl die kanadische Fischereipolitik, als auch die Politik der Robbenjagd nicht von der Wissenschaft geleitet wurden, sondern von den Ambitionen der Politiker wiedergewählt zu werden. Die übergeordnete Moral der Geschichte war, als Undergraduate-Studenten zu erkennen, dass Wildtierpolitik nicht immer auf der Wissenschaft oder wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Die öffentliche Meinung, Werte, Wirtschaft und Politik spielen ebenso eine Rolle und politische Entscheidungen basieren nicht immer auf den besten, verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es war eine wichtige Lektion für uns und ich denke, dass auch heute noch viele junge Leute überrascht wären zu erfahren, das Wildtiermanagement-Strategien oft überhaupt nicht wissenschaftlich fundiert sind, sondern politische Entscheidungen darstellen, die von der Wissenschaft angeregt sein können. Dabei überwiegen aber andere Faktoren oft die wissenschaftliche Beratung.
Hast du jemals an einer Robbenjagd teilgenommen oder sie beobachtet?
Ja, ich beobachte die kommerzielle Robbenjagd in Kanada seit elf Jahren, sowohl vom Eis aus, als auch aus der Luft. Wir müssen uns jedes Mal einem Befragungsprozess und der Überprüfung des kriminellen Hintergrundes unterziehen, um eine Lizenz für die Überwachung vom Department für Fischerei und Ozeane (Regierung von Kanada) zu erhalten.
In der Vergangenheit sind wir viel mit Hubschraubern aufs Eis gereist, wo die Robbenjagd stattfindet. Es gibt viele Einschränkungen, um sicherzustellen, dass wir nicht bei der Jagd stören — die Tage des “Protests” auf dem Eis gehören seit Langem der Vergangenheit an! Aber wir dürfen auf dem Eis mit unseren Kameras mit einem Abstand von 10 Metern beobachten. Unsere Crew wurde von Robbenfängern gejagt, mit Bootshaken geschlagen, mit Motorschlitten und Geländefahrzeugen angegriffen und mit Stachelknüppeln bedroht. Glücklicherweise wurde niemand ernsthaft verletzt. Zu anderen Zeiten führten die Robbenjäger ihre Arbeit durch und ließen uns dabei filmen. In den letzten Jahren waren die Eisverhältnisse aufgrund ansteigender Temperaturen und geringer Eisbedeckung schlecht. Wir waren nicht in der Lage, mit einem Hubschrauber auf dem Eis zu landen, also verwendeten wir eine Hochleistungskreiselkamera, die am Hubschrauber montiert wurde, um in einem Abstand von 500 Metern zu filmen. In vielen Fällen ist das Filmmaterial nützlicher für die Bestimmung von Verstößen gegen die Vorschriften für Meeressäuger, weil sich die Robbenjäger unserer Präsenz nicht bewusst sind.
Was genau macht die Robbenjagd so grausam und inhuman?
Laut Veterinärexperten für humane Schlachtung gibt es bestimmte Kriterien, die erfüllt werden müssen, um eine humane Tötung eines Tieres sicherzustellen. Zuerst muss das Tier mit einem einzigen Schlag betäubt werden, dann muss überprüft werden, ob es bewusstlos ist und nichts mehr fühlt, danach muss das Tier ausbluten, um sicherzustellen, dass es wirklich tot ist. Diese drei Schritte müssen in schneller Folge ausgeführt werden, um sicherzustellen, dass das Tier nicht leidet. In dem speziellen Fall der Robbenjagd wird ein Tier entweder mit einem Holzknüppel, einem Stachelknüppel — genannt Hakapik — oder mit einer Kugel betäubt. Der Robbenjäger muss dann überprüfen, ob das Gehirn der Robbe durch den Schlag auf den Schädel zerstört wurde. Das Tier muss anschließend vor der Häutung ausbluten. Aber in Wirklichkeit ist dies selten der Fall.
Es gibt zwei Hauptprobleme. Das erste Problem besteht darin, dass die kommerzielle Robbenjagd extrem kompetitiv ist, die Robbenjäger versuchen so viele Robben so schnell wie möglich zu töten, um ihr Boot zu füllen, bevor die Quote erreicht ist, oder um die Robbe zu erschießen, bevor sie ins Wasser verscheucht wird. Aus diesem Grund hat Geschwindigkeit Priorität vor humanen Tötungsmethoden. Auf mehrere Robben werden von Booten geschossen und es vergehen mehrere Minuten, bevor eine Robbe auf Bewusstlosigkeit überprüft wird. Ein Tier kann aus der Ferne tot scheinen, aber mit unseren Kameras können wir sehen, dass sie oft noch atmen, längere Zeit leiden, bevor das Boot kommt, um es schließlich zu töten. Wir sehen regelmäßig Robben, die angeschossen werden, verletzt, und dann mit einem Bootshaken ins Gesicht eingehakt werden, während sie lebendig und bei Bewusstsein entlang dem Eis und in die Boote gezogen werden, wo sie bewusstlos gemacht und getötet werden. Schockierender Weise ist dies unter den aktuellen Bestimmungen in Kanada erlaubt. Für den Tierschutz ist das natürlich ein entscheidender Punkt.
Das zweite Problem sind die unvorhersehbaren und oft extremen Wetterbedingungen während der Robbenjagd. Diese findet nicht in der geregelten Umgebung eines Schlachthofs statt. Wind, Wellen, Dünung, und Schnee — alles kommt ins Spiel. Es ist sehr schwierig, eine saubere Tötung zu gewährleisten, wenn aus einem fahrenden Boot auf eine kleine Robbe auf einer Eisscholle gezielt wird, die im Meer auf und ab wippt. Robben werden oft geschlagen, mit der ersten Kugel verletzt und beginnen sich in Schmerzen auf der Eisscholle zu winden, dies macht es extrem schwierig für Jäger, einen zweiten Schuss genau abzufeuern (der Jäger muss auf den Kopf zielen, so dass das Fell nicht beschädigt wird). Robben, die angeschossen werden, aber nur verletzt und nicht getötet werden, können ins Wasser rutschen, wo sie einen langsamen und schmerzhaften Tod sterben.
Obwohl die Regierung behauptet, die Robbenjagd sei human und gut reguliert, erzählen unsere Kameras jedes Jahr eine andere Geschichte. Robben, angeschossen und leidend liegen gelassen, Robben, die mit einem Stahlbootshaken durch das Gesicht eingehakt werden, während sie noch am Leben sind und bellen, und Tiere, die aufgeschnitten wurden und noch atmen und bewusste Bewegungen machen.
Was ist deine Meinung zum EU Handelsverbot für Robbenprodukte?
Das EU-Verbot war bei der Verringerung der Anzahl von getöteten Robben in Kanada sehr erfolgreich. Obwohl die EU keinen sehr großer Markt für kanadische Robbenprodukte darstellte, ist sie sehr einflussreich in der Welt. Nach dem EU-Verbot haben auch Russland und Taiwan ähnliche Verbote umgesetzt. Als Folge ist die Zahl der getöteten Robben in Kanada von 200.000 — 300.000 im Jahr vor dem Verbot, auf 40.000 — 90.000 in den letzten drei Jahren gesunken. Der Wert eines Robbenfells ist von 102 CAD $ im Jahr 2006 auf nur 25 $ im vergangenen Jahr gesunken. Geringere Preise für das Fell bedeuteten, dass weniger Robbenjäger an der Jagd teilnehmen und somit weniger Robben getötet werden, was auch weniger Leid für die Robben bedeutet.
Die Robben, die in Kanada gejagt werden, gehören nicht zu den gefährdeten Arten, warum ist es so wichtig sie zu schützen?
Man könnte die Frage auch in die andere Richtung stellen: Wenn es keine Märkte für Robbenprodukte und berechtigte Sorgen über die Art, wie sie getötet werden, gibt, warum müssen wir sie dann jagen? Die Robbenindustrie in Kanada (und Norwegen) ist weiterhin stark auf staatliche Gelder angewiesen, um weiterhin zu existieren. Während die Sattelrobben-Population jetzt gesund erscheint, gibt es Bedenken über den Verlust des Lebensraums durch den Klimawandel. Wissenschaftler der kanadischen Regierung schätzen, dass in den letzten Jahren ganze Jahrgänge von Robbenbabys fehlen könnten, aufgrund der Sterblichkeit durch geringes Eis und der kommerziellen Jagd.
Weißt du, welche Auswirkungen das EU Handelsverbot für Robbenprodukte auf die Robbenjäger in Kanada hat und was würdest du vorschlagen, was die Jäger und ihre Familien statt der Robbenjagd tun sollten, bedenkend, dass die Robbenjagd, neben der Fischerei ihre Haupteinnahmequelle ist?
Die Robbenjagd ist nicht die Haupteinnahmequelle für irgendeinen Fischer in Kanada. Es ist eine Teilzeittätigkeit, die ein paar Wochen im Jahr durchgeführt wird. Wenn der Wert eines Seehundsfells sinkt, beteiligen sich weniger Robbenjäger und es scheint, als hätten sie dies ganz gut bewältigt. Die Robbenjagd ist eine sehr kleine Industrie im Vergleich zu anderen Fischereien im atlantischen Kanada, und die meisten Fischer konzentrieren sich auf wertvollere Arten wie Eismeerkrabben. Viele Robbenjäger verdienen auch sehr wenig Geld an der Jagd, und in manchen Jahren gar keines, nachdem sie ihre Kosten wie Treibstoff, Munition, Reparaturen an Booten (die meisten sind nicht für eine Fahrt im Eis geeignet) abgezogen haben. Als beispielsweise der kommerzielle Walfang in Kanada endete, gab es keinen großen Aufschrei und es scheint auch, als ob nur sehr wenige Menschen tatsächlich vom Untergang der Robbenjagd betroffen sein würden. Eine Lösung, die vorgeschlagen wurde, ist eine Entschädigung von der kanadischen Regierung, dies ist das normale Vorgehen, wenn ein Fischereizweig geschlossen wird. Dies könnte in Form eines Aufkaufs der Lizenzen für die Robbenjagd, Umschulungen, Investitionen in andere Fischereizweige oder andere Lösungen geschehen.
Teil 5 — “Die Auswirkungen sind drastisch” (zweiter Teil des Interviews mit Nikolas Sellheim)
Teil 4 — “Die Auswirkungen sind drastisch” (erster Teil des Interviews mit Nikolas Sellheim)
Teil 3 — EU Handelsverbot für Robbenprodukte gefährdet Lebensweise der Inuit
Teil 2 — Robbenjagd – ein umstrittenes Geschäft
Teil 1 — Das EU-Handelsverbot für Robbenprodukte – eine politische Entscheidung?
Das vollständige Interview kann hier auch in der englischen Originalversion eingesehen werden: Interview Sheryl Fink