Verschärfung des Sexualstrafrechts in Schweden — deutsche Medien in Aufruhr

Foto: Wolters Kluwer, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sveriges_Rikes_Lag_2013_001.tiff

Sex sollte frei­willig sein. Dieser ein­fache Grund­satz ist in Schwe­den ab heute geset­zlich fest­geschrieben. Am 1. Juli tritt ein Gesetz in Kraft, das die Frei­willigkeit ein­er sex­uellen Hand­lung als Grund­prinzip festschreibt – das soge­nan­nte sam­ty­ck­eslag, das Ein­ver­ständ­nis-Gesetz. Das sorgte in deutschen Medi­en für Aufsehen.

Ein Kom­men­tar zu ein­er Medi­en­de­bat­te, ein­vernehm­lichen Sex und Gleichberechtigung

Schwe­den treibt die sex­uelle Kor­rek­theit auf die Spitze“ und „Schwe­den ist jet­zt das unro­man­tis­chste Land der Welt, gle­ich hin­ter Sau­di-Ara­bi­en und dem Iran“ befand die WELT am 19. Dezem­ber 2017 nach­dem die schwedis­che Regierung eine Reform des Sex­u­al­strafrechts vorstellte. Von der unl­o­gis­chen Platzierung an erster und drit­ter Stelle gle­ichzeit­ig mal abge­se­hen, wur­den in diesem Artikel gle­ich ganz schwere Geschütze aufge­fahren: Ver­gle­iche zur Scharia wur­den gezo­gen und von der Aufhe­bung der Unschuldsver­mu­tung und von Hex­en­jagd war die Rede. Weniger schw­er­er Geschütze bedi­ente sich der Autor lei­der bei sein­er Recherc­hear­beit: „Wer sicherge­hen will, dass gegebe­nen­falls vor Gericht nicht Wort gegen Wort ste­ht, sollte sich aber etwas Schriftlich­es geben lassen, wird derzeit in schwedis­chen Inter­net­foren gemutmaßt.“

Dass hier irgendwelche unbelegten Kom­mentare in Inter­net­foren als Quelle her­hal­ten mussten, tat der fol­gen­den Hys­terie und Fehlin­ter­pre­ta­tion keinen Abbruch. Zahlre­iche etablierte Medi­en berichteten nun davon, dass das schwedis­che Gesetz darauf abziele, dass ein­er jeden sex­uellen Hand­lung eine aus­drück­liche Erlaub­nis oder bess­er noch ein schriftlich­er Ver­trag voran gehen müsse – „Wenn nicht, dro­ht eine Verurteilung wegen Vergewaltigung.“

Dazu kam, dass mehrheitlich so berichtet wurde, als gelte das Gesetz lediglich für Män­ner, die sich um das Ein­ver­ständ­nis ihrer Sex­u­al­part­ner­in­nen bemühen müssten (in eini­gen Beiträ­gen wur­den auch expliz­it gle­ichgeschlechtliche Paare mit eingeschlossen): Es obliege „dem Mann, im Vor­feld seine Part­ner­in um eine ein­deutige Erlaub­nis für den sex­uellen Kon­takt zu bit­ten“.

Focus über neue schwedis­che Gesetz

Der Focus schien ger­adezu schock­iert von der Tat­sache, dass das Gesetz „Selb­st bei der eige­nen Ehe­frau“ gel­ten solle. Spätestens an dieser Stelle wurde deut­lich, dass Deutsch­land in Sachen Gle­ich­stel­lung und Frauen­recht­en noch einiges aufzu­holen hat. Die Ver­wun­derung über die Rechte von Ehe­frauen lässt sich wohl nur damit erk­lären, dass Verge­wal­ti­gung in der Ehe in Deutsch­land erst seit 1997 ein Straftatbe­stand ist und welche (langjährige) Debat­te dieser Errun­gen­schaft vor­ange­gan­gen ist:


Sel­ten hat wohl ein Geset­ze­sen­twurf in Schwe­den für so viel Aufmerk­samkeit im Aus­land gesorgt, wobei die Aufre­gung und das Unver­ständ­nis in Deutsch­land einzi­gar­tig gewe­sen zu sein scheinen. Aus­gerech­net das Satiremagazin Pos­til­lon bemühte sich vehe­ment darum, die Falschmel­dun­gen der etablierten Medi­en zu kor­rigieren, woraus sich dann eine Metadiskus­sion über Factcheck­ing und jour­nal­is­tis­che Qual­ität und Anspruch entwick­elte. (Über die aufgeregte deutsche Debat­te wurde wiederum in schwedis­chen Medi­en berichtet.)

In Schwe­den wird die Ein­führung des Ein­ver­ständ­nis-Geset­zes als rev­o­lu­tionäre Errun­gen­schaft gefeiert, große Aufre­gung blieb aber aus. Der Entwurf wurde von ein­er großen Mehrheit des Par­la­mentes angenom­men und es herrscht weit­ge­hend gesellschaftlich­er Kon­sens über die notwendi­ge Ver­schär­fung des Sexualstrafrechts.

Während in Deutsch­land seit 2016 der Grund­satz „Nein heißt Nein“ im im Sex­u­al­strafrecht ver­ankert ist, wurde in Schwe­den schon lange gefordert, noch einen Schritt weit­erzuge­hen und „Nur ja heiß ja“ zum Grund­satz zu erk­lären. Zen­tral ist dabei das Argu­ment, dass viele Stu­di­en von einem „Frozen Fright“-Phänomen bericht­en, ein­er Art Angst­starre, die es dem Opfer unmöglich mache, Wider­stand zu leis­ten oder gar seinen Unwillen auszudrücken.

Deshalb soll nun gel­ten: „Sex muss frei­willig sein. Ist er nicht frei­willig, ist er nicht legal”, so Min­is­ter­präsi­dent Ste­fan Löfven bei eine Pressekon­ferenz im Dezember.

Der Unter­schied zur bish­eri­gen Geset­zge­bung beste­ht darin, dass zukün­ftig jede sex­uelle Hand­lung, die nicht im gegen­seit­i­gen Ein­ver­ständ­nis geschieht, straf­bar wird. Bis­lang set­zt der Tatbe­stand der Verge­wal­ti­gung die Anwen­dung von Gewalt oder Bedro­hun­gen voraus. Zudem wird die Min­dest­strafe für schwere Verge­wal­ti­gung sowie schwere Verge­wal­ti­gung von Kindern von vier auf fünf Jahre Gefäng­nis erhöht.

Die aktuelle Geset­zge­bung sieht vor, dass Opfer von sex­uellen Über­grif­f­en ihren Wider­stand durch Worte oder Hand­lun­gen deut­lich zum Aus­druck gebracht haben müssen.

Die nun vorgeschla­gene Geset­zge­bung möchte die Opfer von dieser Ver­ant­wor­tung befreien und stattdessen die Angeklagten stärk­er in die Pflicht nehmen: Wie haben sich die Angeklagten von der Frei­willigkeit ihrer Sex­u­al­part­ner/-innen überzeugt? Pas­siv­ität soll damit nicht länger als stilles Ein­ver­ständ­nis inter­pretiert wer­den können.“

So erk­lärte es die Schwedis­che Botschaft im Dezem­ber auf ihrer Home­page (der Text ist momen­tan nicht mehr online). Weit­er­führende Infor­ma­tio­nen stellt die schwedis­che Regierung hier in englis­ch­er Sprache zur Ver­fü­gung: Con­sent – the basic require­ment of new sex­u­al offence legislation

Das Gesetz sieht also den Schutz aller Men­schen, jeglichen Geschlechts vor und kommt natür­lich auch Män­nern zu Gute. Nicht zulet­zt haben es Män­ner, die Opfer sex­ueller Gewalt wer­den, auf­grund von Geschlechter­stereo­typen und fehlen­den Fachken­nt­nis­sen mitunter noch schw­er­er, dies nachzuweisen.

Die Forderung nach einem Ein­ver­ständ­nis-Gesetz wur­den durch MeToo begün­stigt. Die in Schwe­den sehr viel vehe­menteren Auseinan­der­set­zun­gen mit Macht­miss­brauch und sex­uellen Über­grif­f­en haben schließlich dazu beige­tra­gen, dass das Gesetz am 1. Juli in Kraft tritt.

Auch wenn der oben genan­nte WELT-Artikel für die schwedis­che MeToo-Debat­te das beliebte Bild der Hex­en­jagd bedi­ent, wurde sie doch sehr dif­feren­ziert geführt, ging aber tat­säch­lich weit über das „darf Mann jet­zt keine Kom­pli­mente mehr machen“ der deutschen Debat­te hinaus.

Es gab einige promi­nente Einzelfälle von Män­nern, die sich öffentlich dem Vor­wurf der sex­uellen Nöti­gung oder gar Verge­wal­ti­gung aus­ge­set­zt sahen. Ger­ade wur­den zehn von elf angezeigten Artikel über vier namentlich genan­nte und sex­ueller Über­griffe bezichtigte Per­so­n­en (darunter übri­gens auch eine Frau) vom schwedis­chen Presse-Ombuds­mann gerügt.

Vielmehr als von diesen Einzelfällen war die schwedis­che MeToo-Debat­te aber von sehr ein­drück­lichen offe­nen Briefen ver­schieden­ster Branchen geprägt, die alle­samt sex­is­tis­che Struk­turen, Macht­miss­brauch und sex­uelle Über­griffe bezeugten – allerd­ings blieben Opfer und Täter dabei anonym, um eben auf ein gesamt­ge­sellschaftlich­es Prob­lem aufmerk­sam zu machen. „Es geht uns nicht darum, einzelne Män­ner zu beschuldigen. Es geht uns darum, das Sys­tem zu verän­dern“, so die Schaus­pielerin Moa Gam­mel gegenüber dem Spiegel.

Den Auf­takt machte ein Aufruf von Schaus­pielerin­nen in der Tageszeitung Sven­s­ka Dag­bladet (hier auf Englisch nachzule­sen). Es fol­gten Recht­san­wältin­nen, Musik­erin­nen, Schü­lerin­nen, Medi­ziner­in­nen, Pros­ti­tu­ierte und vie­len mehr.

Damit wurde in Schwe­den eine lösung­sori­en­tierte Debat­te über gesellschaftliche Struk­turen in Gang geset­zt, deren poli­tis­che Wucht zu konkreten Maß­nah­men wie die Ver­ab­schiedung dieses Geset­zes führte.

Ob sich die Hoff­nung des schwedis­chen Jus­tizmin­is­ters erfüllen wird, dass die Reform auch zu mehr Verurteilun­gen führen wird, bleibt abzuwarten. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Sex­u­al­straftat­en meist nur zwei Per­so­n­en beteiligt sind und Aus­sage gegen Aus­sage ste­ht. Das wird sich auch in Schwe­den mit dem neuen Gesetz nicht ändern.

Man ver­spricht sich aber auch einen nor­mgeben­den Charak­ter, eine deut­liche Markierung der Gesellschaft der­lei Fehlver­hal­ten und Straftat­en nicht zu akzep­tieren sowie ein geschärftes Bewusst­sein für die Gren­zen kör­per­liche Integrität und ein­vernehm­lichen Sex.

Da die deutsche Debat­te zum schwedis­chen Gesetz einige Ver­ständ­niss­chwierigkeit­en mit dem Konzept von ein­vernehm­lichen Sex offen­bart hat, sei hier noch ein­mal dieses Video zu Klärung empfohlen:

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