Sex sollte freiwillig sein. Dieser einfache Grundsatz ist in Schweden ab heute gesetzlich festgeschrieben. Am 1. Juli tritt ein Gesetz in Kraft, das die Freiwilligkeit einer sexuellen Handlung als Grundprinzip festschreibt – das sogenannte samtyckeslag, das Einverständnis-Gesetz. Das sorgte in deutschen Medien für Aufsehen.
Ein Kommentar zu einer Mediendebatte, einvernehmlichen Sex und Gleichberechtigung
„Schweden treibt die sexuelle Korrektheit auf die Spitze“ und „Schweden ist jetzt das unromantischste Land der Welt, gleich hinter Saudi-Arabien und dem Iran“ befand die WELT am 19. Dezember 2017 nachdem die schwedische Regierung eine Reform des Sexualstrafrechts vorstellte. Von der unlogischen Platzierung an erster und dritter Stelle gleichzeitig mal abgesehen, wurden in diesem Artikel gleich ganz schwere Geschütze aufgefahren: Vergleiche zur Scharia wurden gezogen und von der Aufhebung der Unschuldsvermutung und von Hexenjagd war die Rede. Weniger schwerer Geschütze bediente sich der Autor leider bei seiner Recherchearbeit: „Wer sichergehen will, dass gegebenenfalls vor Gericht nicht Wort gegen Wort steht, sollte sich aber etwas Schriftliches geben lassen, wird derzeit in schwedischen Internetforen gemutmaßt.“
Dass hier irgendwelche unbelegten Kommentare in Internetforen als Quelle herhalten mussten, tat der folgenden Hysterie und Fehlinterpretation keinen Abbruch. Zahlreiche etablierte Medien berichteten nun davon, dass das schwedische Gesetz darauf abziele, dass einer jeden sexuellen Handlung eine ausdrückliche Erlaubnis oder besser noch ein schriftlicher Vertrag voran gehen müsse – „Wenn nicht, droht eine Verurteilung wegen Vergewaltigung.“
Dazu kam, dass mehrheitlich so berichtet wurde, als gelte das Gesetz lediglich für Männer, die sich um das Einverständnis ihrer Sexualpartnerinnen bemühen müssten (in einigen Beiträgen wurden auch explizit gleichgeschlechtliche Paare mit eingeschlossen): Es obliege „dem Mann, im Vorfeld seine Partnerin um eine eindeutige Erlaubnis für den sexuellen Kontakt zu bitten“.
Der Focus schien geradezu schockiert von der Tatsache, dass das Gesetz „Selbst bei der eigenen Ehefrau“ gelten solle. Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, dass Deutschland in Sachen Gleichstellung und Frauenrechten noch einiges aufzuholen hat. Die Verwunderung über die Rechte von Ehefrauen lässt sich wohl nur damit erklären, dass Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst seit 1997 ein Straftatbestand ist und welche (langjährige) Debatte dieser Errungenschaft vorangegangen ist:
Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 20 Jahren strafbar. Bis dahin war es ein langer Weg. pic.twitter.com/LmpPjTjbbC
— tagesschau (@tagesschau) 15. Mai 2017
Selten hat wohl ein Gesetzesentwurf in Schweden für so viel Aufmerksamkeit im Ausland gesorgt, wobei die Aufregung und das Unverständnis in Deutschland einzigartig gewesen zu sein scheinen. Ausgerechnet das Satiremagazin Postillon bemühte sich vehement darum, die Falschmeldungen der etablierten Medien zu korrigieren, woraus sich dann eine Metadiskussion über Factchecking und journalistische Qualität und Anspruch entwickelte. (Über die aufgeregte deutsche Debatte wurde wiederum in schwedischen Medien berichtet.)
In Schweden wird die Einführung des Einverständnis-Gesetzes als revolutionäre Errungenschaft gefeiert, große Aufregung blieb aber aus. Der Entwurf wurde von einer großen Mehrheit des Parlamentes angenommen und es herrscht weitgehend gesellschaftlicher Konsens über die notwendige Verschärfung des Sexualstrafrechts.
Während in Deutschland seit 2016 der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im im Sexualstrafrecht verankert ist, wurde in Schweden schon lange gefordert, noch einen Schritt weiterzugehen und „Nur ja heiß ja“ zum Grundsatz zu erklären. Zentral ist dabei das Argument, dass viele Studien von einem „Frozen Fright“-Phänomen berichten, einer Art Angststarre, die es dem Opfer unmöglich mache, Widerstand zu leisten oder gar seinen Unwillen auszudrücken.
Deshalb soll nun gelten: „Sex muss freiwillig sein. Ist er nicht freiwillig, ist er nicht legal”, so Ministerpräsident Stefan Löfven bei eine Pressekonferenz im Dezember.
„Der Unterschied zur bisherigen Gesetzgebung besteht darin, dass zukünftig jede sexuelle Handlung, die nicht im gegenseitigen Einverständnis geschieht, strafbar wird. Bislang setzt der Tatbestand der Vergewaltigung die Anwendung von Gewalt oder Bedrohungen voraus. Zudem wird die Mindeststrafe für schwere Vergewaltigung sowie schwere Vergewaltigung von Kindern von vier auf fünf Jahre Gefängnis erhöht.
Die aktuelle Gesetzgebung sieht vor, dass Opfer von sexuellen Übergriffen ihren Widerstand durch Worte oder Handlungen deutlich zum Ausdruck gebracht haben müssen.
Die nun vorgeschlagene Gesetzgebung möchte die Opfer von dieser Verantwortung befreien und stattdessen die Angeklagten stärker in die Pflicht nehmen: Wie haben sich die Angeklagten von der Freiwilligkeit ihrer Sexualpartner/-innen überzeugt? Passivität soll damit nicht länger als stilles Einverständnis interpretiert werden können.“
So erklärte es die Schwedische Botschaft im Dezember auf ihrer Homepage (der Text ist momentan nicht mehr online). Weiterführende Informationen stellt die schwedische Regierung hier in englischer Sprache zur Verfügung: Consent – the basic requirement of new sexual offence legislation
Das Gesetz sieht also den Schutz aller Menschen, jeglichen Geschlechts vor und kommt natürlich auch Männern zu Gute. Nicht zuletzt haben es Männer, die Opfer sexueller Gewalt werden, aufgrund von Geschlechterstereotypen und fehlenden Fachkenntnissen mitunter noch schwerer, dies nachzuweisen.
Die Forderung nach einem Einverständnis-Gesetz wurden durch MeToo begünstigt. Die in Schweden sehr viel vehementeren Auseinandersetzungen mit Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen haben schließlich dazu beigetragen, dass das Gesetz am 1. Juli in Kraft tritt.
Auch wenn der oben genannte WELT-Artikel für die schwedische MeToo-Debatte das beliebte Bild der Hexenjagd bedient, wurde sie doch sehr differenziert geführt, ging aber tatsächlich weit über das „darf Mann jetzt keine Komplimente mehr machen“ der deutschen Debatte hinaus.
Es gab einige prominente Einzelfälle von Männern, die sich öffentlich dem Vorwurf der sexuellen Nötigung oder gar Vergewaltigung ausgesetzt sahen. Gerade wurden zehn von elf angezeigten Artikel über vier namentlich genannte und sexueller Übergriffe bezichtigte Personen (darunter übrigens auch eine Frau) vom schwedischen Presse-Ombudsmann gerügt.
Vielmehr als von diesen Einzelfällen war die schwedische MeToo-Debatte aber von sehr eindrücklichen offenen Briefen verschiedenster Branchen geprägt, die allesamt sexistische Strukturen, Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe bezeugten – allerdings blieben Opfer und Täter dabei anonym, um eben auf ein gesamtgesellschaftliches Problem aufmerksam zu machen. „Es geht uns nicht darum, einzelne Männer zu beschuldigen. Es geht uns darum, das System zu verändern“, so die Schauspielerin Moa Gammel gegenüber dem Spiegel.
Den Auftakt machte ein Aufruf von Schauspielerinnen in der Tageszeitung Svenska Dagbladet (hier auf Englisch nachzulesen). Es folgten Rechtsanwältinnen, Musikerinnen, Schülerinnen, Medizinerinnen, Prostituierte und vielen mehr.
Damit wurde in Schweden eine lösungsorientierte Debatte über gesellschaftliche Strukturen in Gang gesetzt, deren politische Wucht zu konkreten Maßnahmen wie die Verabschiedung dieses Gesetzes führte.
Ob sich die Hoffnung des schwedischen Justizministers erfüllen wird, dass die Reform auch zu mehr Verurteilungen führen wird, bleibt abzuwarten. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Sexualstraftaten meist nur zwei Personen beteiligt sind und Aussage gegen Aussage steht. Das wird sich auch in Schweden mit dem neuen Gesetz nicht ändern.
Man verspricht sich aber auch einen normgebenden Charakter, eine deutliche Markierung der Gesellschaft derlei Fehlverhalten und Straftaten nicht zu akzeptieren sowie ein geschärftes Bewusstsein für die Grenzen körperliche Integrität und einvernehmlichen Sex.
Da die deutsche Debatte zum schwedischen Gesetz einige Verständnisschwierigkeiten mit dem Konzept von einvernehmlichen Sex offenbart hat, sei hier noch einmal dieses Video zu Klärung empfohlen:
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