Während man vielerorts nach der US-amerikanischen Tradition noch das Halloween feierte, hat sich der norwegische Fernsehsender NRK für den ersten Novemberabend ein Alternativprogramm ausgedacht und seine Zuschauer zu einer durchaus typisch norwegischen Sendung eingeladen. Auf dem zweiten Kanal konnte man sich am letzten Freitag ab 20.05 Uhr den “Nationalen Strickabend” (Nasjonal strikkekveld), eine neue Sendung des norwegischen Slow TV, anschauen.
13 Stunden lang hat sich alles nur um Wolle, Stricknadel und norwegische Strickmuster gedreht. Man konnte sich in das Strickmuseum versetzen lassen, aus dem das Programm gesandt wurde, und im Laufe des Abends den größten gestrickten Handschuh der Welt bewundern, Stricktechniken lernen und bis zu den Morgenstunden einen Weltrekordversuch unter dem Namen „Vom Schaf zum Pulli“ (Frå sau til genser) mitverfolgen, bei dem der ganze Prozess einer Pulloverherstellung – vom Scheren des Schafes bis zum fertigen Pullover – schnellstmöglich geschafft werden sollte.
Ist sowas nur in Norwegen möglich? Durchaus! Denn nicht nur das Thema, sondern auch das Format der Sendung ist für das nordeuropäische Land bezeichnend. Im Rahmen der “minutt for minutt” Programme des NRK wurde bereits über mehrere, für das Land typische Themen berichtet: 12 Stunden lang brauchte man um zu erklären, wie man ein Lagerfeuer richtig vorbereitet und wartet, 10 Stunden lang dauerte es, wenn man die Zugfahrt von Oslo nach Bergen live mitverfolgen wollte und 9 Stunden lang konnte man die Fischer am ersten Tag der Lachssaison 2012 beim Angeln beobachten. Im Juni 2011 wurde sogar die Hurtigrutenfahrt von Bergen nach Kirkenes live übertragen – fünf Tage lang, ohne Pause.
Das Slow TV Format (auch als TV-Marathon bezeichnet) geht auf den experimentellen Film “Sleep” (1964) Andy Warhols zurück und wurde im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte von mehreren kleineren Sendern aufgenommen. NRK ist der erste nationale Fernsehsender, der dieses Format als live-Übertragung bringt und damit auch die Aufmerksamkeit aus dem Ausland auf sich zieht: „It’s all part of a movement called Slow TV, and I desperately want to see it happen over here,“ schreibt ein Redakteur vom britischen The Guardian und wünscht sich mehr vom langsamen Fernsehen als Ausgleich zu den Programmen, die durch übertriebene Hektik und Lautstärke die Aufmerksamkeit der Zuschauer erregen wollen. In der Tat hat das britische BBC Teile des „Nationalen Holzabends“ (Nasjonal vedkveld) aus Norwegen übertragen. Vom amerikanischen Komiker Stephen Colbert wurde die „norwegische Faszination für trockenes, knisterndes Holz“ zwar öffentlich ausgelacht, das Wall Street Journal wollte sich jedoch die Exklusivrecht auf den ersten Bericht über den Strickabend sichern, denn der Erfolg des norwegischen “langweiligen Fernsehens” sorge in den USA für allgemeine Faszination.
So oder so, die NRK-Programmleitung ist sowohl mit den Einschaltquoten als auch den Reaktionen des einheimischen Publikums bei den „langsamen Sendungen“ zufrieden. Der Nationale Holzabend hat dreimal so viele Zuschauer angesprochen wie ein gewöhnliches Freitagsprogramm von NRK 2 und während des Strickabends hat man zahlreiche positive Meldungen bei Facebook, Twitter und Instagram vermerkt. Neue Sendungen von Slow TV sind bereits in Planung und bis zum nächsten nationalen Fernsehabend können alle bisherige Programme (auch in thematischen Teilen) in der NRK-online Mediathek oder auf Youtube angeschaut werden. Wohl keine so schlechte Idee, wenn man das graue Novemberwetter draußen für ein paar Stunden vergessen will…
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