Da die Nordischen Filmtagen Lübeck das einzige Festival in Europa ist, das sich ganz auf die Präsentation von Filmen aus dem Norden und dem Nordosten Europas spezialisiert hat, sollte es für uns von “Besser Nord als nie!” eigentlich ein Muss, eine Pflichtveranstaltung sein.
Dieses Jahr waren wir auch endlich zum ersten Mal dabei, als bei den 57. Nordischen Filmtagen Lübeck die neuesten Spiel‑, Dokumentar- und Kurzfilme aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Island und dem Baltikum gezeigt wurden. Nun wollen wir unsere Eindrücke aus Lübeck mit euch teilen und einige Filme vorstellen.
Die Filme
Menschen in Krieg und Alltag — unter diesem Motto stand das diesjährige Spielfilmprogramm des Festivals, das sowohl die Dramatisierung von Flucht und Krieg als auch die Darstellung der Herausforderungen des Alltags ins Zentrum rückte.
Dagur Káris Coming of Age-Film Fúsi (international hat der Film den hämischen Titel Virgin Mountain) erzählt auf sehr berührende Weise von den alltäglichen Herausforderungen, mit denen sich sein Protagonist konfrontiert sieht.
Der herzensgute, aber schüchterne Fúsi ist Anfang 40, wohnt noch bei seiner Mutter, hatte noch nie eine Freundin, geschweige denn Sex und seine Freizeit widmet er am liebsten Spielzeugsoldaten. Doch als er zum Geburtstag einen Line-Dance-Kurs geschenkt bekommt und dort die attraktive und scheinbar unbekümmerte Sjöfn kennenlernt, wagt Fúsi endlich aus der selbstgeschaffenen Routine seines Lebens auszubrechen und den Schritt ins Erwachsenenleben.
Virgin Mountain gewann in Lübeck nicht nur den Publikumspreis der Lübecker Nachrichten (dotiert mit 5.000 Euro), sondern auch den Kirchlichen Filmpreis Interfilm (dotiert mit 2.500 Euro). Hauptdarsteller Gunnar Jónsson erhielt zudem zudem eine Lobende Erwähnung für seine Schauspielkunst. In Deutschland ist Virgin Mountain seit dem 12. November im Kino.
Ebenfalls vor eher alltägliche Herausforderungen wie Sprachbarrieren oder Ehrlichkeit sich selbst und anderen Gegenüber werden die Protagonisten in 2 Nächte bis zum Morgen (2 Yötä aamuun) gestellt. Der finnische Regisseur Mikko Kuparinen inszeniert die Begegnung der Französin Caroline und des finnischen DJs Jaakko in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Es entwickelt sich eine Romanze, die zunächst von Verständigungsschwierigkeiten und gegenseitiger Anziehung geprägt ist, und die trotz ihrer Kürze immer wieder auf die Probe gestellt wird.
Mit seinem nachdenklich-gefühlvollen Film, der schöne Ansichten von Vilnius bietet, gewann Mikko Kuparinen beim Filmfestival Montreal 2015 den Preis für die beste Regie.
In Dirk Ohm – Der Illusionist, der verschwand (Dirk Ohm – illusjonisten som forsvant) verschwimmt die Grenze zwischen Illusion und Realität.
Der Illusionskünstler Dirk Ohm trifft im tiefsten Winter in dem kleinen norwegischen Ort Grong ein, kurz nachdem dort Maria verschwunden ist. Nachdem Ohm tagsüber bei der Suche nach der jungen Frau hilft und abends seine Tricks auf der Bühne der Hotelbar aufführt, zieht er sich auf sein Hotelzimmer zurück wo sich in imaginären Dialogen eine Beziehung zwischen ihm und Maria entspinnt.
In beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und mit August Diehl in der Hauptrolle inszeniert der Norweger Bobbie Peers seine Erzählung, die ihren Ausgangspunkt in dem realen Verschwinden des deutschen Illusionisten Dirk Ohm im Jahr 2003 in Grong nimmt.
Der Thriller The Idealist – Geheimakte Grönland (Idealisten) gehört zu filmischen Auseinandersetzungen mit dem Thema Krieg — in diesem Fall geht es um die Nachkriegszeit und den Kalten Krieg in Dänemark.
Als der Radiojournalist Poul Brink in den 80er Jahren zu dem Absturz eines US-Bombers auf Grönland 1968 recherchiert, gerät die offizielle Regierungsposition, dass Dänemark eine atomwaffenfreie Zone sei, zunehmend ins Wanken. Brink entdeckt, dass viele der an den Räumarbeiten beteiligten Männer schwer erkrankt sind, aber nie entschädigt wurden, da ein Zusammenhang geleugnet wird. Im Verlauf seiner jahrelangen Recherchen stößt er auf immer mehr Ungereimtheiten.
Regisseurin Christina Rosendahl inszeniert ihren spannenden Thriller auf der Grundlage des Buches des realen Poul Brink, in dem er seine Rechercheergebnisse veröffentlichte.
Einem höchst aktuellen kriegerischen Konflikt widmet sich A War (Krigen) mit Pilou Asbæk in der Hauptrolle.
Claus Pedersen leitet als Offizier eine Einheit dänischer Soldaten in der afghanischen Provinz, während seine Frau Maria sich daheim um die drei Kinder kümmert. Bei einer Patrouille geraten Claus und seine Einheit unter Beschuss und er trifft eine Entscheidung, wegen der er in Dänemark als Kriegsverbrecher angeklagt wird und er entscheiden muss, welche Verantwortung schwerer wiegt — die als Vater von drei Kindern oder die eines Soldaten, der zu seiner Fehlentscheidung stehen muss.
Tobias Lindholms Drama ist Dänemarks Vorschlag für den Auslands-Oscar.
Ebenfalls aus Dänemark, aber wiederum den Dramen des Alltags gewidmet, ist Frederikke Aspöcks Film Rosita.
In einem kleinen dänischen Fischerort lebt Witwer Ulrik gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Johannes. Doch Ulrik ist einsam und wünscht sich wieder eine Frau in seinem Leben und so lässt er die junge Filipina Rosita einfliegen. Und obwohl sie kaum Dänisch spricht und er kein Englisch, der Altersunterschied beträchtlich ist, versuchen sie sich unbeholfen ein gemeinsames Leben aufzubauen. Dass sich Johannes und Rosita problemlos verständigen können und im gleichen Alter sind, macht die Situation nicht unkomplizierter.
Rosita ist ein hervorragend gespieltes Dreiecksdrama über zwischenmenschliche Bedürfnisse und die Konkurrenz zwischen Vater und Sohn.
Magnus von Horns Spielfilmdebüt Nachbeben (Efterskalv) erzählt von dem Wunsch nach einem Neuanfang, von Schuld und Vergebung.
Nachdem John seine zweijährige Jugendstrafe verbüßt hat, möchte er zurück in sein Heimatdorf zu seinem Vater und wieder in seine alte Schule gehen. Doch dort ist er nicht mehr willkommen. Während Johns Vater zunächst zumindest versucht, den Anschein zu erwecken, dass er sich über seine Heimkehr freut, schlägt ihm im Dorf und in der Schule Gewalt und Hass entgegen und die Situation droht zu eskalieren. John gelingt es nicht, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein Neuanfang scheint ihm verwehrt.
In der Hauptrolle von Nachbeben gibt der schwedische Popstar Ulrik Munther sein beeindruckendes Schauspieldebüt.
Fazit
Alle hier vorgestellten Filme waren spannend, berührend und überzeugend. Sie stellen allerdings nur einen Bruchteil dessen dar, was das gesamt Programm der Filmtagen in Lübeck zu bieten hatte, das aus insgesamt 180 Filmen bestand. Die Nordischen Filmtage in Lübeck sind natürlich auch ein Treffpunkt und eine Plattform — in diesem Jahr waren rund 780 Fachbesucher und Pressevertreter sowie insgesamt 200 Filmschaffende zu Besuch. Aber vor allem bieten die Nordischen Filmtage dem deutschen Publikum die einzigartige Chance, eine Fülle großartiger Filme aus Nordeuropa und dem Baltikum zu schauen, denn nur wenige dieser Filme finden einen deutschen oder internationalen Verleih und schaffen es auch in die deutschen Kinos. Zu den 58. Nordischen Filmtagen kommen wir deshalb gerne wieder nach Lübeck!
Das NDR Fernsehen zeigt anlässlich der Filmtag noch bis zum 13. Dezember Filme und TV-Serien aus Dänemark, Schweden, Norwegen und Island.
Einige Eindrücke von den 57. Nordischen Filmtagen Lübeck
Die Gewinner der 57. Nordischen Filmtage Lübeck und Lobende Erwähnungen:
NDR Filmpreis:
DIE RÜCKKEHR (Å VENDE TILBAKE), Regie: Henrik Martin Dahlsbakken, Norwegen
Eine Lobende Erwähnung geht an:
Die Darsteller Ghita Nørby und Sven Wollter aus SCHLÜSSEL HAUS SPIEGEL, Regie: Michael Noer, Dänemark
Publikumspreis der “Lübecker Nachrichten”:
VIRGIN MOUNTAIN (FÚSI), Regie: Dagur Kári, Island
Baltischer Filmpreis:
STURE BÖCKE (HRÚTAR), Regie: Grímur Hákonarson, Island
Eine Lobende Erwähnung geht an:
Den Darsteller Gunnar Jónsson aus VIRGIN MOUNTAIN, Regie: Dagur Kári, Island
Kirchlicher Filmpreis Interfilm:
VIRGIN MOUNTAIN (FÚSI), Regie: Dagur Kári, Island
Dokumentarfilmpreis:
DEMOCRATS (DEMOCRATS), Regie: Camilla Nielsson, Dänemark
Eine Lobende Erwähnung geht an:
DIE WAGEMUTIGEN – Von der Solidarität kleiner Nationen (THEIR SEM THORA – NEED, KES JULGESID), Regie: Ólafur Rögnvaldsson, Island
CineStar-Preis:
DER FÄHRMANN UND SEINE FRAU, Regie: Johanna Huth, Deutschland
Eine Lobende Erwähnung geht an:
FRANZ AN LOCKE 2 (FRANZ AN LOCKE 2), Regie: Pia Lamster, Deutschland
Kinder- und Jugendfilmpreis:
ANDERE MÄDCHEN (TOISET TYTÖT), Regie: Esa Illi, Finnland
Eine Lobende Erwähnung geht an:
NULLPUNKT (NULLPUNKT), Regie: Mihkel Ulk, Estland
Preis der Kinderjury:
OPERATION ARKTIS (OPERASJON ARKTIS) Regie: Grethe Bøe-Waal, Norwegen
Eine Lobende Erwähnung geht an:
PIXY, DER KLEINE WICHTEL (FAMILIEN JUL), Regie: Carsten Rudolf, Dänemark
Die Jurybegründungen können hier nachgelesen werden: www.luebeck.de/filmtage