von Claudia und Tiziana
Sophia Bösch, Regiestudentin an der Babelsberger Filmuniversität, hat einen großartigen Kurzfilm gedreht: „Rå“
Sie hat sich ihr Gewehr selbst ausgesucht. Nun wird Linn, 16 Jahre alt, definitiv kein Girlie und auf angenehme, ruhige Weise sehr selbstbewusst, in den tiefen Wäldern Nordschwedens ihren ersten Elch schießen. Begleitet wird sie dabei von ihrem Vater und seinen Jagdfreunden. Die Regisseurin Sophia Bösch inszeniert mit “Rå” den Eintritt des jungen Mädchens in diese eingeschworene Männergemeinschaft als eine Art Initiation – die bald aus dem Ruder läuft.
Sophia Bösch hat ihre Wurzel väterlicherseits in Schweden, sie stammt aus einer Familie von Jägern, hat aber selber nie gejagt. „Ich bin aber vertraut mit diesen archaischen Ritualen und auch fasziniert davon“, erzählt die Master-Studentin der Filmuniversität Babelsberg.
Die Männer nehmen einen Fehler Linns, der sich letztlich gar nicht als Fehler entpuppt, zum Anlass, um sie rigoros zu entmündigen. Damit trifft die 1987 geborene Filmemacherin den Nerv der Zeit. Zwar geht es in „Rå“ nicht um sexuelle Belästigung, wohl aber um die Ungerechtigkeit geschlechterspezifischer Rollenzuweisungen, um das Recht auf Selbstbestimmung und, letztlich, um Macht. „Mich hat interessiert, wie sich ein Mädchen in einem männerdominierten Milieu einen Platz erkämpft“, so die Regisseurin.
Mit sparsam aber effizient eingesetzten cineastischen Mitteln erzeugt Bösch die besondere Stimmung, die “Rå” braucht, um seine Wirkung zu entfalten. „Wir haben drei Wochen in der Wildnis gedreht, es war ein echtes Abenteuer“, so Bösch. Der Wald rauscht, der Nebel legt sich übers Land, irgendwo knackt ein Zweig – und inmitten dieser urwüchsigen, bedrohlichen Natur erkämpft sich eine junge Frau ihr Recht. In starken Bildern und mit einer ganz eigenen Stimme erzählt Bösch vom Scheitern an den Vorurteilen einer Männergesellschaft.
Linn hat den Elch mit dem ersten Schuss präzise getroffen, aber als die Jagdgemeinschaft vor dem toten Tier steht, zeigt sich: Es ist eine Elchkuh. Das Blut an den Händen des Jägers mischt sich mit der Muttermilch. Eine säugende Elchkuh zu töten ist verboten. Linn wird schnell vorgeworfen, nicht darauf geachtet zu haben, dass da irgendwo ein Kalb in der Nähe gewesen sein muss. Doch Linn ist sich sicher: Sie hat vor dem Schuss alles ganz genau beobachtet. Da war kein Elchkalb. Freundlich aber entschieden wird ihr klargemacht, dass es nun Sache der Männer ist, das Kalb zu finden und ebenfalls zu töten. Was dabei nicht ausgesprochen wird und trotzdem eindeutig mitschwingt: Das Töten eines Elch-Babys ist nichts für eine Frau. Doch Linn findet sich damit nicht ab und macht sich selbst auf die Suche, um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Am nächsten Morgen wird ihre Rolle in dem Männerbund eine gänzlich andere sein. Besonders eindrucksvoll ist Sofia Aspholm als Linn. „Ich habe sehr lange nach einem Mädchen für die Rolle gesucht. Sie stand noch nie vor einer Kamera, aber als ich sie sah, wusste ich gleich, dass sie es ist“.
Obgleich “Rå” in Schweden spielt, hätte der Film – ohne den Elch – genauso gut in den Weiten Brandenburgs angesiedelt sein können. Oder an irgendeinem anderen Fleckchen der Welt, an dem die Menschen eher schweigsam, das Land weit und die althergebrachten Regeln noch stark sind. Der 30-minütige Kurzfilm, an dem noch weitere Studenten der Filmuniversität beteiligt waren, lief in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ auf der diesjährigen Berlinale.
Diesen Mittwoch, 28. März, wird der Film außerdem im Potsdamer Filmmuseum ausgestrahlt: http://www.filmmuseum-potsdam.de/index.
Info
Regie: Sophia Bösch
Mit: Sofia Aspholm, Lennart Jähkel, Lars T. Johansson, Ingmar Virta
Produktionsland: Deutschland / Schweden 2018
Länge: 30 Minuten