Seit Anfang Juli wird im Felleshus der Nordischen Botschaften mit der Ausstellung SÁMI Contemporary erstmals zeitgenössische samische Kunst in Berlin gezeigt. In der Wanderausstellung, die zuvor im finnischen Rovaniemi und im schwedischen Kungsbacka zu sehen war, werden Arbeiten aus den letzten 15 Jahren von 23 Künstlern aus Finnland, Norwegen und Schweden präsentiert.
Derzeit leben in Nordeuropa etwa 70.000 Samen – davon etwa 40.000 in Norwegen, 20.000 in Schweden, knapp 8.000 in Finnland und 2.000 auf der russischen Kola-Halbinsel. Nachdem die Samen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Rassismus, Unterdrückung und Diskriminierung erfuhren, erkämpften sie sich zwar seit den 1950er Jahren mehr Einfluss – mit einigen Erfolgen – ringen aber als Minderheit noch immer um ihr Recht auf Selbstbestimmung und darum, das von ihnen einst besiedelte Land nutzen zu dürfen. So wurde das ILO-Übereinkommen 169 (Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation ILO über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern) bislang nur von zwei der nordischen Länder, nämlich Norwegen und Dänemark, ratifiziert.
Diese Hintergründe spiegeln sich auch in SÁMI Contemporary wieder. Die Ausstellung bietet den Samen ein Forum, ihre Anliegen und die zeitgenössische samische Kunstszene einem internationalen Publikum zu präsentieren.
Mit dem Sámi Contemporary Talk – einem Gespräch mit den Künstlern Markku Laakso und Annika Dahlsten aus Finnland, Marita Isobel Solberg aus Norwegen und Anders Sunna aus Schweden – wurde die Ausstellung am 9. Juli eröffnet. Dabei gaben die vier Künstler Einblicke in ihre Arbeiten, ihren Bezug zur samischen Kultur und Geschichte und zur politischen Situation der Samen.
So berichtete Anders Sunna von dem Jahrzehnte andauerndem politischen Kampf seiner Familie um ihre Rentiere mit den schwedischen Behörden, den er in seinen Werken verarbeitet.
Der Finne Markku Laakso setzt sich in seiner Kunst unter anderem damit auseinander, dass seine Großeltern in „Menschen-Zoos“, den sogenannten Völkerschauen, ausgestellt wurden, bei denen um 1900 herum Menschen fremder Kulturen in einem authentischen bzw. stereotypen Ambiente gezeigt wurden.
Auf das Gespräch folgte eine spektakuläre Performance von Marita Isobel Solberg im Felleshus. Inmitten des Publikums wurden der norwegischen Künstlerin schwarzgefärbte Teigklumpen in ihr Nylonkostüm gestopft, während sie Textschnipsel ins Publikum rief, die Fragen nach der individuellen, nationalen und ethnischen Identität stellten. Während man sich das nordische Craft-Bier der Kaschk-Bar schmecken ließ und der vom finnischen DJ und Künstler Matti Aikio aufgelegten Musik lauschte, konnte anschließend die Ausstellung bestaunt werden.
Die finnische Gruppe Suohpanterror – von der auch das ausdrucksstarke Ausstellungsplakat stammt – nutzt soziale Medien, um für die Rechte der Samen zu kämpfen. Sie macht „Propaganda posters from Sápmi“, die in ironischen und pointierten Bildern Stellung zu der politischen Situation der Samen beziehen, Stereotype und Klischees hinterfragen und sie demontieren. Suohpanterror greift dabei aktuelle Themen wie die Rentierhaltung und die negativen Auswirkungen der Bergbauindustrie auf die arktische Natur auf.
In ihrer Installation Event in Time hat die Künstlerin Britta Marakatt-Labba Postsäcke der Deutschen Wehrmacht aus dem Zweiten Weltkrieg in Form einer samischen Zelt-Kote, dem Lávvu, angeordnet. Die Stickereien zeigen die norwegische Insel Utøya. Damit stellt sie eine Kontinuität zwischen dem Zweiten Weltkrieg, dem Nationalsozialismus und dem Attentat von Utøya am 22. juli 2011 her.
Victoria Andersson aus Schweden arbeitet seit zehn Jahren überwiegend mit Stickerei. Viele Motive zeigen eine Verbindung zur Umgebung ihrer Kindheit, der Bergbaustadt Kiruna. Ein wiederkehrendes Thema ist die Beziehung des Menschen zur Natur und vor allem deren Plünderung und Ausbeutung durch ihn. So auch in ihrer ausgestellten Arbeit Black Rain.
In ihrer farbenprächtigen Installation zitiert die Finnin Outi Pieski nördliche Landschaften, verweist aber auch auf traditionelle samische Handwerkskunst und die samische Tracht. Die Arbeit offenbart die starke Verbindung zwischen Natur und Kultur.
Anders Sunnas Arbeiten sind dagegen explizit politisch. Seine Gemälde in Collagetechnik erzählen sowohl von den Erfahrungen seiner Familie als auch die kollektive Geschichte der Rentierzucht und der Samen. Sie kommentieren die Vorurteile gegenüber Samen und deren Unterdrückung. In expressiven Bildern will Sunna ein Bewusstsein für die Situation und die Probleme der Samen schaffen.
Die Ausstellung SÁMI Contemporary bietet in ihrer Vielfalt seltene Einblicke in die Kultur und Geschichte der Samen. Sie ist schön anzusehen, spannend, berührend und kontrovers. Daher eine dringende Empfehlung: Ansehen!
SÁMI Contemporary ist noch bis zum 27. September im Felleshus der Nordischen Botschaften zu sehen. Zudem gibt es ein kulturelles und politisches Rahmenprogramm mit Filmen, Seminaren und Musikveranstaltungen. Weitere Infos findet ihr in unserem Veranstaltungskalender.
Mehr über die Samen erfahrt ihr in unserem Beitrag zum samischen Nationalfeiertag und auf der Seite der Norwegischen Botschaft.
Außerdem:
Ein Beitrag und Interview mit Suohpanterror: Suohpanterror. Propaganda posters from Sápmi
Auf Anders Sunnas Webseite kann man mehr über die Geschichte seiner Familie und seine Kunst lesen.
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