von Martin Kristoffer
Eine Reise an das berühmt berüchtigte Nordkap in Norwegen, den nördlichsten Punkt Europas, der mit einem Kraftfahrzeug erreichbar ist. Früher wirkte dies wie ein absolutes Ding der Unmöglichkeit, ein unerfüllbarer Lebenstraum, den sich nur Personen wie der schwedisch-norwegische König Oskar II. (im Jahre 1873) oder der König von Siam (1907) erlauben konnten. Doch heutzutage schrumpft die Welt angesichts der Globalisierung, und auch das sagenumwobene Nordkap ist für den deutschen Touristen nicht mehr so fern und unmöglich zu bereisen, wie man vermuten könnte.
Mehrere Reiseveranstalter bieten von Deutschland aus die Reise ans Nordkap durch ganz Skandinavien an, sodass während der Tourismussaison von Mai bis Ende August täglich rund ein halbes Dutzend Busse gefüllt mit neugierigen (Früh-)Rentnerinnen und Rentnern zu einem bezahlbaren Preis in den Norden aufbrechen. In Gruppen von ca. 45 Personen inklusive zweier Busfahrer und einem Reisebegleiter machen sich die wagemutigen Reisenden auf den Weg, nicht wissend, was sie erwarten wird. 2015 fand dieses Spektakel mit meiner Wenigkeit als Reisebegleiter im Mittelpunkt des Geschehens statt. Ein Reise‑, Erfahrungs- und Leidensbericht:
Eine Busreise, egal an welchen Ort die Reise nun gehen soll, ist immer eine Art Experiment, deren Zutaten sich variabel gestalten, was das Ergebnis jedes Mal offen lässt. Wie fügen sich die einzelnen Reisenden sozial zusammen? Gibt es nervtötende Besserwisser oder Nörgler? Welcher Art sind die Busfahrer? Ist der Reisebegleiter kompetent oder hört er sich zu gerne selbst reden? Was macht das Wetter? All dies sind völlig unvorhersehbare Variablen, die die Reise zu einem Erlebnis, aber auch Wagnis machen, wenn man bedenkt, dass man 12 Tage auf engstem Raum eingeschlossen ist, mit täglich rund 700 Kilometern Fahrt vor sich.
In unserem Fall erwiesen sich die Variablen als geglückt. Was zu Beginn meiner Reise mit der Gruppe aus Bayern keineswegs absehbar war, galt es doch zunächst, sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden. Selbst am letzten Tag musste ich mich manches Mal mit einem Lächeln und Kopfnicken damit abfinden, dass der Reisende und sein Dialekt für mich einfach nicht verständlich waren. Aber das sollte noch das geringste Problem bleiben.
Über Puttgarden führte uns die Reise zunächst nach Kopenhagen, welches wir mitsamt der berühmten Meerjungfrau besichtigten und über Helsingör nach Schweden, wo wir am zweiten Tag in Stockholm nächtigten. Hier überraschte uns das Hotel mit einer Überbuchung, sodass Einzelzimmer zusammengelegt werden mussten. Da ist Improvisation gefragt, um die Stimmung nicht kippen zu lassen. Und so muss sich auch der Reiseleiter darauf einstellen, nach einem 18-stündigen harten Arbeitstag das Zimmer (immerhin nicht das Bett) mit einer völlig unbekannten 77-Jährigen zu teilen.
Entschädigt wird man für solche Abenteuer mit dem Blick auf das wunderschöne Stockholm, großgewachsenen Elchen, der Altstadt von Luleå und der Überquerung des Polarkreises bei Rovaniemi in Finnland, welche mit einem Sekt im Bus gefeiert wurde. Hierbei durfte auch das Weihnachtsmanndorf — inklusive des echten Weihnachtsmannes — besichtigt werden, wobei uns wenige Tage zuvor die Nachricht ereilt hatte, dass der Weihnachtsmann Konkurs angemeldet hätte. Für uns nahm er sich aber trotz Finanzkrise Zeit.
Schon am fünften Tag der Reise erreichten wir das Nordkap durch den Nordkaptunnel, der uns 212 Meter unter den Meeresspiegel führte. Begleitet wurden wir dabei von vielen Rentieren, die im Bus zunächst für Elche gehalten wurden und bei jedem erneuten Anblick auf die edlen Tiere zu großen „Ooooohs“ und „Aaaaahs“ führten. Die Kamera sollte man bei einer solchen Reise stets griffbereit haben. Am Nordkap selbst hielten wir uns ganze zwei Stunden auf, genügend Zeit also, um das obligatorische Foto mit der Weltkugel zu knipsen und sich mit den nötigen Souvenirs einzudecken.
Der Job als Reisebegleiter bringt einen doch immer wieder ins Schwitzen: Neben den zu erwartenden Aufgaben wie Informationsvermittlung über Land und Leute und Organisatorischem wie Streckenplanung oder dem Check-In im Hotel muss man sich auch mit aufgebrachten Reisenden auseinandersetzen, die beispielsweise häufigere (Toiletten-)Pausen fordern oder in selbigen unauffindbar verschwinden, oder mit aufgebrachten Rezeptionisten, die sich ob der späten Ankunft des Busses beschweren. Manchmal fühlt man sich wie ein Mathematiklehrer, der der 8. Klasse nachmittags um 16 Uhr noch lineare Gleichungen beibringen soll. Aber nur manchmal.
Fantastische Momente gibt es nämlich zuhauf: Allein die einzigartige nordische Natur, die einem geboten wird. So führte uns die Reise über das Postschiff Hurtigruten bis zu den Lofoten, einer der schönsten Inselgruppen der Welt. Dass dort im Hotel kurz vor unserer Ankunft der Strom ausfiel, konnte bei solch wunderschönem Anblick leicht verschmerzt werden.
Auch die Gäste sorgten für viele teils amüsante Höhepunkte, wenn beispielsweise die 80-Jährige Oma mich rührend darum bat, ihr „dieses Whatsapp“ einrichten zu lassen, damit die Enkel an der Fahrt durch verschickte Bilder teilnehmen können. Und auch die Busfahrer sorgen mit ihren teils derben Späßen für gute Stimmung.
Von diesen Witzen beflügelt erzählte ich der Gruppe von dem Unterschied zwischen einem Waschlappen und einem VW-Käfer. (Der Käfer eiert in der Kurve, der Waschlappen kurvt um die Eier). Dies erwies sich jedoch als keine gute Idee, so fragte sich manch ältere Dame, „ob denn der Junge seine katholische Erziehung völlig vergessen habe.“
Über die E6 führte uns der Weg durch Trondheim und Dombås bis zum berühmten Geirangerfjord, den wir mit einem Boot besichtigten. Ein solcher Moment, den atemberaubenden Fjord vor sich, den Fahrtwind in den Haaren, entschädigte für all die Strapazen, denen man als Reisebegleiter in jenen zwölf Tagen ausgesetzt wird, wenn man als „Mädchen für alles“ tätig ist und der Arbeitstag täglich um 6 Uhr morgens beginnt und abends um 23 Uhr endet.
Hernach bereisten wir Oslo, um am selben Tag abends die Fähre von Malmö nach Travermünde zu erreichen, wo unsere gemeinsame Reise endete. Glücklich und mit vielen freundlichen Verabschiedungen verließ ich den Bus, der für knapp zwei Wochen mein Zuhause geworden war.
Ob ich es wieder tun würde? Fraglich. Ob es sich gelohnt hat? Absolut! Nicht nur die nordische Natur, sondern auch die Mitreisenden, die man auf einer so intensiven Tour kennenlernt, sind eine Reise wert. Das Experiment war trotz der unvorhersehbaren Variablen geglückt.
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