Als Nordkapp-Guide fährt man viel herum. Leider aber meist nur im Rahmen der Arbeit und nur auf ein paar Stammstrecken. Obwohl die Touren dank der täglich wechselnden Gäste und des Wetters immer neue amüsante Geschichten und Herausforderungen mit sich bringen, freut man sich sehr über einen Ausflug hinter die Grenzen des Wohlbekannten.
Es ist gang und gäbe, dass alle neuen Guides eine Trainingstour nach Karasjok — die “Hauptstadt der Sami” — unternehmen, um sich das norwegische Sametinget (Sami-Parlament) anzuschauen.
Also sind wir, drei neue Guides, unter Aufsicht einer erfahrenen Kollegin auf einen Roadtrip geschickt worden. 240km hin und 240km zurück. Vier Mädchen in einem Ford, angenehmes norwegisches Sommerwetter und eine durchaus interessante Musikmischung — samischem Joik, japanischem Ska und Phill Collins’ Greatest Hits (CD wurde nicht mitgebracht, sondern im Mietwagen gefunden und mit großer Nostalgie und Freude angehört) — haben sich als die richtige Zusammensetzung für einen wunderbaren Tag auf den Straßen Nordnorwegens erwiesen.
Eine der ersten Attraktionen, die wir noch in Honningsvåg vom Auto aus sehen — natürlich ein Rentier. Dann kommen ein zweites und ein drittes dazu. In den letzten Tagen kamen sie oft bis an die Häuser heran, knabbern eine Weile an den Baumblättern in den Gärten und ziehen dann wieder weiter. Man schafft es aber immer wieder, einige Nahaufnahmen zu machen. Denn die Herren (hier drei männliche Rentiere — erkennt man am Geweih, das gerade neu wächst) lassen sich von den Menschen und Autos beim Essen nur selten stören.
Auf dem Festland verändert sich die Aussicht zunächst nicht viel. Rentiere gibt es überall. Hier stehen sie neben der Straße direkt hinter einem Tunnel. Da ist die Luft etwas kühler, also kommen die Tiere an sonnigen Tagen gerne ganz nah ran, um sich etwas abzukühlen. Natürlich zur Freude aller Fahrer, die mit Hupen und Klatschen versuchen, sie von der Straße wegzujagen.
Nach einer kurzen Weiterfahrt rennt uns plötzlich noch ein letztes, einsames Rentier entgegen, ganz brav in der richtigen Spur, sodass es die Straße nicht versperrt.
Die erste Hälfte des Wegs nach Karasjok gleicht der Tour nach Hammerfest, die wir oft mit den Besuchern fahren. Was ich persönlich an der Tour sehr mag, ist die Landschaft, die sich mit jedem weiteren Kilometer etwas verändert. Entlang des Porsangerfjordes sind beispielsweise einige interessante Orte mit sehr schönen Steinformationen zu sehen, auf die wir die Reisenden gerne aufmerksam machen. Hier ist ein Bild von den Klippen vor einem Tunnel, in dem angeblich Trolle leben.
Was seht ihr auf dem folgenden Bild, wie viele und wo genau?
Wer auf dem Bild nur Steine sieht, sollte etwas an seiner Vorstellungskraft arbeiten. Wer einen kleinen Troll sitzen und zum Meer schauen erkennt, richtig! Das ist der Troll, den die meisten sehen. Wer auch einen großen Troll neben der Straße sitzen sieht, wieder richtig! Das ist mein Lieblingstroll. Wer beide sieht, wunderbar, wer was Anderes sieht, schreibt mir bitte was und wo, damit ich es bei der nächsten Gelegenheit den Menschen im Bus erzählen kann.
Bei der Weiterfahrt und mit jedem weiteren Kilometer in südliche Richtung wird die Landschaft immer grüner. Die zunehmenden, wild wachsenden Büsche und Bäume stellen für die Bewohner der Magerøya und nun auch für uns eine Besonderheit dar. Denn auf der Magerøya gibt es keine wild wachsenden Bäume und Büsche. Bei den ersten Bäumen fahren wir also etwas langsamer und jubeln ganz laut. Mit der Pflanzenwelt verändert sich ganz natürlich auch die Tierwelt. Es sind keine Rentiere mehr zu sehen, dafür aber andere, viel kleinere und gemeinere Tiere zu hören und spüren — Mücken! Sie sind in dieser Gegend wirklich überall. Sogar in Geschäften und im Parlamentgebäude drinnen!!! Ich frage mich, wie wir es eigentlich geschafft haben, dieses Bild vor dem Sametinget zu machen, auf dem keine von uns die Mücken weg jagt.
Das Sametinget ist ein seit den 1980er Jahren von den Samen, der Urbevölkerung (Nord-)Norwegens, gewähltes Organ, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die politische Stellung der Sami zu stärken und ihre Interessen in der norwegischen Gesellschaft zu verteidigen. Im nationalen Parlament Stortinget hat es lediglich eine beratende Funktion. Bei einer Führung wurde uns erklärt, dass die Möglichkeit, mit den norwegischen Politikern einen Dialog über alle, für die Sami bedeutenden Themen, führen zu können, von vielen als eine sehr erfolgreiche Art der Zusammenarbeit angesehen wird. Es gäbe aber Samen, die sich kritisch gegenüber der Tätigkeit des Sametinget äußern; entweder, weil sie sich mehr dem norwegischen König verbunden fühlen, oder weil sie mit der Aktivität der Abgeordneten nicht ganz zufrieden sind. Auf der Internetseite des Parlaments kann man sich ganz ausführlich über alle seine Tätigkeitsfelder informieren (auf norwegisch).
Die Stadt Karasjok an sich ist eine ganz gewöhnliche nordnorwegische Stadt. Ganz interessant ist der “Sapmi Park”, eine Art kleines Freilichtmuseum, das den Besuchern die traditionelle Lebensweise der Sami näher bringt (jeder, der hinfährt sollte sich auf jeden Fall auch den kurzen Film über die Sami anschauen!). Von Karasjok sind es nur ein paar Kilometer bis zur finnischen Grenze, die häufig überquert wird. Denn in Finnland ist alles etwas billiger. Wir fahren also auch zum Einkaufen in den Mini-Ort Karigasniemi. Ich hätte nie gedacht, dass mein erster Besuch Finnlands ein Shoppingausflug sein wird.
Mit dem Kofferraum voller Einkaufstüten (und Bier) fahren wir dann wieder zurück nach Honningsvåg. Auf dem Rückweg gibt es noch paar Sachen zu sehen. Zum Beispiel die (bestimmt!) nördlichsten Schafe Europas. Und ganz viele Regenbögen — das Schönste, was man beim norwegischen Regen sehen kann.
Ein durchaus gelungener Ausflug!