Hyttetur — Entschleuning der besonderen Art

von Beate Kury

Das neue Jahr begin­nt mit großer Vor­freude: Von meinen Fre­un­den Erlend und Terese war ich für fünf Tage nach Nor­we­gen ein­ge­laden wor­den und nicht nur das: Eine Hyt­te­tur stand auf dem Pro­gramm. Aus meinem etwas länger zurück­liegen­den Nor­wegis­chkurs weiß ich, dass die soge­nan­nte Hyt­te­tur zum nor­wegis­chen Kul­turgut gehört und so gut wie jede nor­wegis­che Fam­i­lie ihren kleinen Rück­zug­sort irgend­wo in der Pam­pa besitzt. Googelt man Hyt­te­tur, stößt man jedoch auf haarsträubende Geschicht­en, von Eras­musstu­den­ten, die ihre Hütte abfack­eln über ver­reg­nete Tage in ein­er eiskalten Baracke mit­ten im Nir­gend­wo bis zum stink­enden Außen­k­lo, auf das man nur kommt, wenn man durch meter­ho­hen Schnee watet. Unnötig zu sagen, dass mir etwas bange ist. Zumal meine Fre­unde eine Langlauf­tour angekündigt haben, was dann auch die erste meines Lebens ist. Doch ganz von vorne:

IMG_3958

© Beate Kury

Vom ca. eine Zugstunde west­lich von Oslo gele­ge­nen Mjøn­dalen fahren wir nach Kongs­berg, laden dort noch ein paar Schneeschuhe und Wass­er ein und düsen weit­er Rich­tung West­en ca. einein­halb Stun­den nach Rød­berg, besuchen die Stabkirche in Ulv­dal – hier in der Nähe hat auch die Königs­fam­i­lie ihre Hytte — und dann biegen wir ab in Rich­tung Borge­gren­di. Wir schrauben uns wild­schöne Straßen den Berg hinauf.

© Beate Kury

© Beate Kury

Wir hof­fen, dass auf der Hütte noch genug Schnee liegt, um Ski­fahren zu kön­nen. Tere­ses größte Sorge ist die Befahrbarkeit der Straße zur Hytte, denn eine dicke Eiss­chicht hat sich auf die Straße gelegt. Sobald sich Ein­heimis­che Sor­gen machen, tue ich es auch. Die ersten zwei Kilo­me­ter schaf­fen wir es, doch kurz vor Erre­ichen der Hütte müssen wir Mädels doch aussteigen und anschieben, damit das Auto auf gröberem Unter­grund am Straßen­rand Halt find­et. Dass wir selb­st dabei keinen fes­ten Stand auf der Straße haben, erle­ichtert das Ganze nicht unbe­d­ingt. Diese Proze­dur wieder­holen wir noch zwei, drei Mal und haben es dann tat­säch­lich nach ein­er hal­ben Stunde geschafft!

IMG_3894

© Beate Kury

Mit­tler­weile sind wir so weit oben in den Bergen, dass eine dicke Schneeschicht liegt und dem geplanten Ski­fahren am näch­sten Tag nichts ent­ge­gen ste­ht. An einem kleinen Park­platz ist Schluss – ab hier müssen wir zu Fuß weit­erge­hen. Ich bekomme Schneeschuhe angeschnallt, um den Weg freizutreten. Was in Fil­men immer nach sehr viel Spaß aussieht, ist in Wahrheit wahnsin­nig anstren­gend und so richtig unter Kon­trolle bekomme ich meine Füße nicht. Doch bere­its nach einem fün­fzehn­minüti­gen Marsch sind wir da und ich bin pos­i­tiv über­rascht: wir ste­hen vor einem schö­nen Holzhaus und nach unserem Ein­tritt offen­bart sich eine Gemütlichkeitsszener­ie in Rein­form: Küche, Essz­im­mer, Wohnz­im­mer mit Schaf­fellen auf den Ses­seln neben dem Kamin, kari­erte Gar­di­nen und flauschige Tep­piche. So toll hat­te ich mir eine kleine Hütte nicht vorgestellt.

© Beate Kury

© Beate Kury

In der Hütte – die ich gar nicht so nen­nen möchte – ist es nur eines: eiskalt. Seit drei Monat­en war kein­er mehr hier, sagt Terese, wir müssen also erst­mal Feuer machen. Das übern­immt Erlend und für erste, innere Wärme gibt es einen Schnaps auf unsere Ankun­ft. „Eine Hyt­te­tur bei der man nicht um acht Uhr betrunk­en ist, ist keine richtige Hyt­te­tur,“ erk­lärt mir Erlend mit einem Grin­sen. Oha. Wir haben es schon sechs. Meine Fre­unde haben ein beson­deres Essen vor­bere­it­et: pin­nekjøtt. Das sind Lammkot­teletts, die zunächst in Salz ein­gelegt wer­den und danach tage­lang in Wass­er ein­gelegt wer­den, um das Salz her­auszuziehen. Anschließend wird das Fleisch drei- bis vier Stun­den in einem großen Topf auf kleine Holzscheite gelegt und dampfge­gart. Viele nor­wegis­che Fam­i­lien essen diese Spezial­ität an Wei­h­nacht­en und ich bin ges­pan­nt. Während das Fleisch durch­gart, sitzen wir am Feuer, unter­hal­ten uns und trinken weit­er. Es ist der Inbe­griff von Gemütlichkeit. Wir spie­len ein Frage­spiel, bei dem man her­aus­find­en soll, wie nor­wegisch man ist – ich schlage weit hin­ter Terese und Erlend ab, da ich zu viele Men­schen kenne, die kein Langlauf kön­nen und mich ins­ge­samt in der Win­ter­sport­geschichte zu wenig auskenne. Den­noch sitze ich in einem wahrge­wor­de­nen Klis­chee am Feuer.

Zum Fleisch gibt es Kartof­feln, eine Art Rüben­stampf und zer­lassene But­ter mit Wach­holder­beeren. Das Fleisch fällt fast von alleine vom Knochen und das Bier dazu schmeckt nicht nur wegen seines hor­ren­den Preis­es her­vor­ra­gend. Wir spie­len weit­ere Spiele, die Hütte ist nun richtig warm gewor­den und Müdigkeit schle­icht sich ein. Draußen hat es wieder begonnen zu schneien: Mor­gen geht es auf die Piste!

Ich erk­läre mich selb­st zur Schneeschmelz­topf-Beauf­tragten und sehe nach, dass wir genug warmes Wass­er zum Hän­de­waschen haben. Denn auch wenn das Bad voll aus­ges­tat­tet ist, wäre eine Dusche ein etwas größeres Unter­fan­gen, deshalb lassen wir das für ein Woch­enende ein­fach sein. Auch das Plump­sk­lo ist etwas gewöh­nungs­bedürftig. Aber dass ich nicht durch Tief­schnee auf ein Toi­let­ten­häuschen stiefeln muss, beruhigt mich den­noch enorm und ich bin vom Kom­fort dieser Hütte mit­ten im Nir­gend­wo sehr überrascht.

© Beate Kury

© Beate Kury

Am näch­sten Mor­gen macht sich die fehlende Zen­tral­heizung  bemerk­bar. Als ich meine Zehen aus dem Bett strecke, hat es im Zim­mer empfind­liche, ein­stel­lige Tem­per­a­turen. Dass ich meinen Atem noch nicht sehen kann, über­rascht mich fast. Meine Fre­unde sind noch nicht wach und so beschließe ich, auf die Veran­da zu schle­ichen um das mor­gendliche Panora­ma zu genießen. Die Sonne klet­tert über die Baumwipfel und die Nacht hat ein paar Zen­time­ter Neuschnee dazugelegt. Absolute Stille. Außer das Rascheln der Bäume höre ich keinen Ton. Diese Ruhe und Abgeschieden­heit fühlt sich gut an. Friedlich.

Im Schnee find­en wir später sich kreuzende Fuchs- und Hasen­spuren. Hier sagen sie sich also Gute Nacht. Endlich habe ich diesen Ort gefunden!

Die größte Her­aus­forderung des Tages ste­ht mir noch bevor: Wir wer­den sehen, wie ich mich beim Langlauf, ein­er bis dato völ­lig unbekan­nten Sportart, schla­gen werde. Zwar weiß ich, wie man sich auf Skiern ver­hält, aber ger­adeaus auf ihnen durch den Schnee zu joggen, ist mir neu.

© Beate Kury

© Beate Kury

Der Langlauf ist eine Sportart, die wahrschein­lich alle Nor­weger beherrschen. Ich ste­he zwei Sekun­den auf den Skiern und dann liege ich. Die fed­er­le­icht­en Ski­er fordern mein Gle­ichgewicht her­aus, da der Halt nor­maler Skischuhe fehlt. Auf den näch­sten zwanzig Metern falle ich in alle Rich­tun­gen, nach vorne nach hin­ten, nach rechts, nach links… . Wir fahren los, Loipen gibt es keine, also durch den Tief­schnee. Terese voran, ich hin­ter­her, Erlend bildet das Schlus­slicht und passt auf, dass ich nicht verlorengehe.
Nach fün­fzehn Minuten finde ich mein Gle­ichgewicht und gleite vor­sichtig auf meinen Skiern durch die Land­schaft, nur eine kleine Bergab­fahrt schaffe ich nicht ohne Unfall. In Gedanken entschuldige mich bei allen Lan­gläufern, über die ich während mein­er Abfahrt­s­ki-Zeit Witze ob ihres lang­weili­gen Sports gemacht habe. Langlauf ist nicht einfach.

Wir fahren durch die ver­schneite Land­schaft, vor uns fegt der Wind den Schnee über die Ebene und ich füh­le mich wie auf ein­er kleinen Polar­ex­pe­di­tion. Das langsame Gleit­en durch die Ebene entspan­nt und macht Spaß, die Sonne sorgt für ein biss­chen Wärme. Nach ein­er Stunde beschließen wir, Rast zu machen und suchen uns ein windgeschütztes Plätzchen für ein kleines Lager­feuer. Bei heißem Kaf­fee genießen wir die Ruhe und lassen die Blicke durch die men­schen­leere Land­schaft streifen. Es ist bere­its halb vier, die Sonne geht langsam unter und wir müssen uns auf den Rück­weg machen. Auf der Rück­fahrt stürze ich nur noch ein­mal und meine Fre­unde loben mich für mein Anfänger­tal­ent (nur zwölf­mal hinz­u­fall­en!) und ich weiß nicht, ob sie das ernst meinen oder ob jedes nor­wegis­che Kind durch eine per­sön­liche Langlaufhölle geht.

Eine kuschlig warme Hütte empfängt uns, wir genießen nor­wegis­chen Lachs mit Gemüse und lassen die Gemütlichkeit wieder einziehen.

IMG_3946

© Beate Kury

Nach­dem ich die Schön­heit der Ruhe und der Natur hier oben ken­nen­gel­ernt habe, begreife ich die Vernar­rtheit der Nor­weger in ihre Hyt­te­tur, fehlen­der Heizung und warmer Dusche zum Trotz. Lange Gespräche, keine Ablenkung von außer­halb (nicht ein­mal das Handy hat­te Emp­fang) und entspan­nte Stun­den vorm flack­ern­den Feuer sind Bal­sam für die Seele – eine Entschle­u­ni­gung der beson­deren Art. Ich wün­schte, wir kön­nten noch länger hier oben bleiben, zwei, drei, acht Wochen zum Beispiel. Doch am näch­sten Tag ruft die Heim­fahrt. Nach einem aus­gedehn­ten Früh­stück fahren wir den Berg wieder hin­unter, ich drehe mich noch mal um und freue mich schon jet­zt auf meine näch­ste Hyt­te­tur, dann vielle­icht im Som­mer, zum Baden im See, Pilze sam­meln und Wandern.

Wahrhaft magisch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.