Wenn man dieses Jahr eine der Kulturhauptstädte Europas besuchen möchte, muss man sich von Deutschland aus jeweils in Richtung Nord-Osten begeben. Es sind die lettische Hauptstadt Riga und das schwedische Umeå, die in den nächsten Monaten als europäische kulturelle Zentren erhöhte Aufmerksamkeit von Seiten der Besucher und Medien auf sich ziehen werden. In Riga fand der Auftakt zum Kulturjahr bereits vor zwei Wochen statt. Umeå war mit seiner Eröffnungsfeier am letzten Wochenende dran. Hier kommt eine kurze Vorstellung der beiden Städte und ihrer Schwerpunkte im Kulturjahr 2014.
“Riga ist ein baltisches Kleinod,” schreibt das lettische Fremdenverkehrsamt über die Hauptstadt, die am Fluss Düna (Daugava) liegt, rund 710.000 Einwohner zählt, gegenwärtig als wichtiges Industrie‑, Geschäfts‑, Kultur- und Finanzzentrum im Baltikum gilt, aber auch auf eine reiche Geschichte zurückblickt.
Gegründet wurde sie 1201 von einem deutschen Bischof und befand sich als eine bedeutende Hansestadt mehrere Jahrhunderte unter deutschem Einfluss. Im 17. Jahrhundert war sie die größte Stadt des Schwedischen Königreichs, bis sie Anfang des 18. Jahrhunderts unter russische Kontrolle kam. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie einige Jahre lang von einem Bürgermeister britischer Abstammung regiert und in der Zwischenkriegszeit genoss sie zum ersten Mal Unabhängigkeit. Ab 1940 wurde sie jedoch von Deutschland und der Sowjetunion okkupiert und befand sich unter der Sowjetmacht bis Riga schließlich 1991 zur Hauptstadt des freien und unabhängigen Lettlands wurde.
Die Organisatoren konzentrieren sich auch bei der Gestaltung des Kulturjahres im hohen Maß auf die kulturgeschichtlich bedingten Aspekte. In erster Linie möchte man ganz Europa auf das seit jeher multikulturelle Milieu der Stadt aufmerksam machen. Betont wird auch der Bezug zu mehreren bedeutenden europäischen Philosophen und Künstlern (darunter v.a. der Komponist Richard Wagner), die in Riga lebten und sich vom Flair der Stadt inspirieren ließen. Nicht zuletzt sind die Organisatoren und Einwohner auf das reiche kulturelle Erbe und die architektonische Vielfalt der Stadt stolz — und besonders auf das historische Jugendstil-Zentrum, dass seit 1995 auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht. Dies alles kam bereits während der Eröffnungsfeier zur Geltung, im Rahmen derer, neben Konzerten und Lichtshows, auch mehrere historische Ausstellungen eröffnet wurden. Bei der feierlichen Eröffnung des Jahres der Kulturhauptstadt Europas wurde die Neuinszenierung von Richhard Wagners Oper „Rienzi” vorgeführt, die der Komponist am Ende der 1830-er Jahre gerade in Riga zu schreiben begann. Sehr viel Aufmerksamkeit wurde der Aktion „Lichtstraße” geschenkt, bei der die Stadteinwohner selbst zu Hauptdarstellern wurden. In rund fünf Stunden haben sie es geschafft, alle Bücher aus dem alten Gebäude der Nationalbibliothek in die neu erbauten Räumlichkeiten am anderen Ufer der Düna zu tragen — von Hand zu Hand, in einer Menschenkette, die ebenfalls an ein bedeutendes historisches Ereignis erinnern sollte — an die 1989 von rund zwei Millionen Menschen gebildete “baltische Kette”, die 600 km lang von Riga bis zum litauischen Vilnius reichte und den Höhepunkt der Unabhängigkeitsbestrebungen des Baltikums darstellte.
An die 200 Kulturprojekte und Veranstaltungen, bei denen nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die gegenwärtige Kunst aus dem In- und Ausland präsentiert wird, sind für das Kulturjahr geplant. Aktuelle Informationen gibt es unter www.riga2014.org. Auf dem Riga Portal darf man übrigens auch eigene Bilder und Videos zum Thema Kulturhauptstadt Riga 2014 hochladen!
“Stattlich, stark und stilbildend” sei wiederum laut der lokalen Tourismusorganisation die viel nördlicher an der Ostsee gelegene und vier Jahrhunderte jüngere Kulturhauptstadt Umeå. Geprägt wird die lebendige und dynamische Universitätsstadt vor allem durch ihre rund 110.000 Einwohner, die im Durchschnitt nur 37,5 Jahre jung sind 1 und “ein Gefühl von Zukunft und Zuversicht” nach Umeå bringen.
Jugendstilbauten und Spuren der turbulenten europäischen Geschichte sucht man hier vergeblich. Umeå, unter anderem auch der Geburtsort des Schriftstellers Stieg Larsson, kann jedoch auf ein vielfältiges und intensives Kulturleben stolz sein, das in erster Linie von Tausenden in der Stadt lebenden Studierenden beeinflusst ist. Zweifelsohne sind auch die Möglichkeiten der Freiluftaktivitäten in der traumhaften nordschwedischen Natur um Umeå ein großer Anziehungspunkt für die Besucher. Im Sommer lädt die Umgebung zu Wanderungen und Ausflügen per Boot ein, im Winter sollte man am besten auf Skiern oder Hundeschlitten losfahren und das großartige Spektakel der Nordlichter bewundern.
Gegründet wurde die Stadt 1622 durch König Gustav II. Adolf, doch das heutige Gesicht hat sie erst durch den Wiederaufbau nach einem Brand in der Mittsommernacht 1888 bekommen, der sie beinah vollständig zerstörte. Beim Wiederaufbau wurden entlang der neuen, breiten Alleen 3.000 Birken gepflanzt, die die Einwohner vor weiteren Bränden schützen sollten. Daher kommt Umeås zweiter Name — die “Stadt der Birken”. Ihr dritter Name — “Umbeje” — stammt aus der Sprache der Sami, deren Heimat im Sápmí (Lappland), dem nördlichsten Teil Europas liegt. Kein Wunder also, dass sich Umeå als das “Tor nach Lappland”, von den Traditionen dieses indigenen europäischen Volkes auch bei der Gestaltung des Kulturjahres deutlich inspirieren lies. Schon während der Eröffnungsveranstaltung haben Menschen in der traditionellen, bunten samischen Tracht Rentierbrühe auf dem Rathausplatz serviert. Der Künstler Nicolai Dunger kam am Freitagabend mit einer Gruppe samischer Künstler in der Kulturhauptstadt an, um hier ein Konzert zu geben, nachdem sie sechs Tage lang auf Skiern einer Rentierkarawane von Ammarnäs folgten und unterwegs acht weitere Konzerte spielten. Von der nordschwedischen Natur und dem kalten Winter inspirierte Attraktionen — Lichtshows, Eis- und Schneeskulpturen — aber auch Fotoausstellungen und Filmvorführungen waren ein Teil des ersten Kulturwochenendes.
Das gesamte Jahresprogramm wird in Umeå im Einklang mit der samischen Tradition und Kultur in acht Jahreszeitenaufgeteilt. Zahlreiche Veranstaltungen sind schon vorbereitet, doch Umeå fordert die Einwohner und Besucher ausdrücklich dazu auf, weitere Kunst- und Kulturprojekte vorzuschlagen. Somit kann wirklich jeder Kulturinteressierte durch eigene Initiative zum Hauptziel der Kulturstadt beitragen, Nordschweden auf die Kulturkarte Europas zu setzen. Und unter der Schirmherrschaft von Prinzessin Victoria und Prinz Daniel wird es Umeå hoffentlich gut gelingen.
Notes:
- Zum Vergleich: Das Durchschnittsalter in Berlin lag 2012 bei 42,9 Jahren. ↩