von Martina Sander
Ein naher Verwandter des Königshauses wird mit einem Auktionskatalog verprügelt, eine alte Dame von der Nachbarin angezeigt, ihr Kaninchen zu vernachlässigen, die wiederum von einem Unbekannten erpresst wird. Angesichts dieser Missstände in seinem Zuständigkeitsbereich muss Kommissar Evert Backström sich erst einmal ein exzellentes Mahl, mehrere Schnäpse und ein ausgiebiges Nickerchen gönnen, zu viel stürmt da beruflich auf ihn ein. Der Clint Eastwood Schwedens, um den sich unzählige Anekdoten ranken, ist schließlich stolzer Besitzer seiner Riesensalami (Penis), des Klein-Sigge (Pistole) und eines Fräulein Freitag (Reinigungskraft mit erweiterten Aufgaben), die alle zu ihrem Recht kommen wollen. Als der bekannte Rechtsanwalt Thomas Eriksson erschlagen in seinem Haus gefunden wird, ist Evert Bäckström allerdings vor Ort, hat er doch ein persönliches Interesse, sich am Tod des Mannes zu freuen. Denn er ist zwar der rassistischste, frauenfeindlichste und korrupteste Ermittler, mit viel Freude an unter der Hand gefüllten Umschlägen, aber er ist auch der mit dem genialen Hirn und der Intuition, die selten falsch liegt — und es sieht aus, als sei da was zu holen. Offenbar veräußerte Eriksson eine wertvolle Kunstsammlung, darunter eine diamantenbesetzte Spieluhr mit dem Figürchen des Pinocchio, der die diamantenbesetzte Nase aus- und einfahren kann. Bäckström macht sich offiziell auf die Suche nach dem Mörder und inoffiziell nach der Spieldose — würde die ihm doch einen luxuriösen Lebensabend sichern, an einem warmen Strand mit üppigen Frauen im Bikini.
Leif GW Perssons Bäckström-Reihe mit diesem selbstverliebten, egozentrischen Ekel ist mal eine amüsante Abwechslung von der ewig sich am System reibenden skandinavischen Ermittlerriege. Als Satire angelegt, erinnert Perssons Pinocchio-Krimi „Der glückliche Lügner“ fast an die genialen Bo Balderson-Krimis, die unter einem Pseudonym (Astrid Lindgren wird als Autorin gehandelt) in den 70ern und 80ern erschienen sind. Perssons bissiger Humor, seine schrulligen Figuren, seine absurden, aber intelligent konstruierten Handlungsstränge machen das Buch sehr lesenswert, aber entfernen sich genau dadurch auch vom Genre des Krimis. Klar, es gibt diesen Ermittler und es gibt auch einen Fall – oder mehrere –, man denke an russische Ikonen, Hells Angels und verwahrloste Kaninchen. Persson ist ja Professor für Kriminologie, Profiler und Olof Palme-Spezialist, also wirklich Experte für vertrackte Untersuchungen. Er ist aber auch Geschichtenerzähler und umgeht einen stringenten Handlungsverlauf, um seine Anekdötchen zu erzählen oder Hintergrundwissen zu vermitteln. Er nimmt sich auch viel Zeit für die Ausgestaltung seines seltsamen Teams und deren genauso seltsame Denkverschränkungen. Er lässt den Leser/die Leserin souverän an Bäckströms kruden Gedanken teilhaben, sich entsetzt winden, wohlig grausen und entlarvt gleichermaßen darüber die politische Inkorrektheit seiner Figur und die des schadenfreudigen Lesers.
„Der glückliche Lügner“ kann übrigens portofrei bei Pankebuch bestellt werden!
Info
Leif G. W. Persson
„Der glückliche Lügner“ (Den sanna historien om Pinocchios näsa)
Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn
Erscheinungsjahr: 2015
656Seiten, btb
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