„Asphaltengel“ ist ein schwer greifbarer Roman. Er ist fesselnd, gut geschrieben und schwer aus der Hand zu legen. Er erzählt die Geschichte von den Schwestern Leila und Samira, die ihr Leben in sich abwechselnden Kapiteln erzählen. Ihre Mutter ist eine zum Islam konvertierte Finnlandschwedin, die ihr Leben extrem orthodox führt. Ihr Vater ist ein aus Nordafrika stammender Muslim. Ihre Großmutter ist Atheistin und emanzipierte Finnin. In der Schule wird Leila Negerin geschimpft, zu Hause echauffiert sich ihre Mutter über deren zu finnisches Betragen. Samira entflieht dem religiösen Elternhaus, nur um kurze Zeit später selbst ein Kopftuch zu tragen. Vor diesem Hintergrund beschreibt die Autorin Johanna Holmström die sozialen und kulturellen Konflikte, mit denen Leila und Samira täglich zu kämpfen haben.
Der Roman enthält allerdings genug Stoff, um mehrere Bücher zu füllen. So handelt er einerseits von religiösem Extremismus und Konfliktlagen in einer christlichen Gesellschaft. Es geht um haram und hallal, die wahren Worte des Propheten und um Mädchen, die wie Vieh an den Höchstbietenden verschachert werden. Ein anderes Thema in „Asphaltengel“ ist dagegen der alltägliche Gruppenzwang und die damit einhergehende Gewalt an Leilas Schule. Das Spektrum der Gemeinheiten reicht von subtilem Mobbing bis zu Drohungen und psychischer oder physischer Gewalt, wobei die Auslöser ganz unterschiedlich sind. Leila wird gemobbt, weil sie schwarz ist, Anna weil sie Schlabberhosen trägt und Leena besitzt ganz einfach die falsche Miu-Miu-Tasche. Die Schüler sind Opportunisten und die Lehrer konfliktscheu. Außerdem geht es um die sexuelle Objektifizierung und die (Selbst-)Darstellung der Frau in der Gesellschaft. Besonders Samira philosophiert gern über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Religionen und die Rolle der Frau darin als allzeit verfügbares Sexobjekt. Leila dagegen steht mitten in der Pubertät und kämpft mit dem Erwachsenwerden und dem Erwachen ihrer Sexualität.
„Asphaltengel“ ist also ein sehr komplexer, schwarzhumoriger Roman, der an der Toleranzgrenze der Leser kratzt. In eiskalten Milieustudien rechnet Holmström mit Klischees, Konformisten und Mitläufern ab und stürzt sich mutig in die gegenwärtige Debatte um Religion, Rassismus und Unterdrückung. Gekonnt hält sie nebenbei jungen Mädchen den Spiegel vor, die die Emanzipationsresultate ihrer Mütter und Großmütter zu verspielen drohen, indem sie sich nur noch über ihr Aussehen definieren. Und trotz des beschriebenen Fremdenhasses und Extremismus, der Intoleranz und der Gewalt, hat der Roman etwas Tröstliches. Letztendlich geht es nämlich darum aus vorgefertigten Mustern auszubrechen und ein selbstbestimmtes Individuum zu werden. Glücklich zu sein und frei.
Info:
Autorin: Johanna Holmström
Titel: Asphaltengel (schwed. Asfaltänglar)
Erscheinungsjahr: 2014
Ullstein, 400 Seiten
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