von Martina Sander
In der dänischen Gesellschaft steht der Mainstream über allem. Wer ihm folgt und tut, was alle anderen tun, bekommt Oberwasser und Antrieb und Rückenwind. Man muss bloß seine Ausbildung beenden, bis man dreißig ist, sich einen Mann und ein paar Kinder und eine Villa sichern, bis man vierzig ist, seinen Alkoholverbrauch einteilen … und bereit sein … zum letzten langen Endspurt im dänischen Wettlauf anzusetzen, der da heißt ‚Wer am meisten hat, wenn er stirbt, hat gewonnen‘.
Susan Svendsen hat sich immer brav auf den anerkannten Gleisen der vorherrschenden gesellschaftspolitischen Richtung bewegt. Bis es zu diesem unliebsamen Indienurlaub kam, in dem sich ihre Familie auffällig und ziemlich daneben benommen hat. Susan ist also gezwungen, sich auf einen schmutzigen Deal mit der dänischen Regierung einzulassen, um ihre geliebten Zwillinge und den Ehemann vor dem Gefängnis zu schützen. Denn die Experimentalphysikerin und Übermutter hat nicht nur sehr gute Verbindungen in die höchsten politischen und wissenschaftlichen Kreise, sie besitzt auch Ausdauer und Mut, das beruhigende Wissen um die Rationalität und das Periodensystem und eine spezielle Fähigkeit, den ihre Freunde als den „Susan-Effekt“ bezeichnen: Sie kann bei ihren Gesprächspartnern Wahrhaftigkeit hervorrufen, ob die wollen oder nicht. Und diese spirituelle Gabe möchte die Regierung nutzen, um sich der geheimen Protokolle der Zukunftskommission zu bemächtigen.
Peter Høegs Susan-Effekt zeigt thematisch durchaus Gemeinsamkeiten mit Smilla aus seinem bisher erfolgreichsten Buch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ (1992). Wieder bedient er sich des magischen Realismus, wieder übt er vehement Sozialkritik, wieder hat er eine Superwoman kreiert, die sich auf eine gefährliche Suche begeben muss — nach Wahrheit und um die Apokalypse abzuwenden, aber als Belohnung auch wieder nicht den „Gral“ erhält. Stilistisch wirkt Høeg diesmal moderner, so lässt er Susan aus der Erzählerperspektive zynisch, manchmal flapsig kommentieren. Auch narratorisch ist der Susan-Effekt gewohnt ausgereift, bis zum Finale des Ökothriller-Sciencefiction-Hybriden wird ein hohes Spannungslevel aufrechterhalten. Aber gerade das macht auch die Schwäche des Romans aus: Leider bleibt hier sein besonderes Talent, Atmosphäre zu kreieren, weit hinter seinen Aktionsmomenten zurück, als hätte er beim Schreiben schon die Kinoversion seines Actionthrillers vor Augen gehabt. Und der immerhin mit großer Sorgfalt ausgestaltete Charakter seiner Hauptfigur, wenn sie auch ein wenig wie eine dänische Lisbeth Salander wirkt, lässt kaum Raum für die durchweg blassen Nebenfiguren, die allerdings ohnehin wie die Fliegen wegsterben.
Leider wird wohl Høegs „Susan-Effekt“, obwohl es kein uninteressantes Werk ist, wieder keine neuen Spuren in der Autoren-(Schnee-)Landschaft hinterlassen. Schade.
Høeg kommt im Oktober auf Lesereise nach Deutschland. Weitere Informationen finden sich hier!
Info:
Der Susan-Effekt
von Peter Høeg
Erscheinungsjahr: 2015
Hanser Verlag, 400 Seiten
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