von Martina Sander
“Suchen wir nach einem kleinen Mann?”, sagte Winter.
“Oder nach einer Frau”, sagte Ringmar.
“Nein.”
“Nein?”
“Nein, wir suchen nicht nach einer Frau, jedenfalls nicht als Täterin.”
“Cherchez la femme”, sagte Ringmar. “So oder so.”
“Ich denke, wir sollten die Geldspur verfolgen.”
“Das auch.”
“Hier geht es nicht um Geld”, sagte Winter.
“Es geht um Wut”, sagte Ringmar.
“Große Wut.”
.…
“War die Tat vorbereitet?”
“Ja.”
“Vorbereitet?”
“Ja.”
“Dann wohnt der Täter in der Nähe”, sagte Ringmar.
“Nicht unbedingt”, sagte Winter.
“Er wohnt in der Nähe.”
“Na, warten wir’s mal ab”, sagte Winter.
“Was?”
“Das nächste Opfer.”
Erik Winter geht es nicht gut. Er kann nicht schlafen, und wenn, plagen ihn Alpträume. Er trinkt ohne Maß und seine Familie, die ihn bremsen könnte, lebt weit weg in Spanien. Da inszeniert ein Serienmörder gerade rechtzeitig, bevor der jüngste Kommissar Schwedens vollkommen unter die Räder oder die Whiskyflaschen kommt, seine Leichen mitten in der Stadt, an Händen und Füßen gefesselt, um den Kopf eine Plastiktüte, jede einzelne markiert mit einem Buchstaben auf Karton. Dem Kommissar und seinem Alter Ego Ringmar ist klar, dass sie mit jedem Mord dem Lösungswort näherkommen können, und beide hoffen, dass der Täter sich auf eine kurze Botschaft beschränken kann.
Åke Edwardsons Erik Winter wich lange ab vom skandinavischen Klischee des Ermittlers im postsozialistischen Schweden, wo der Kommissar politisch frustriert, einsiedlerisch und depressiv zu sein hatte. Erik Winter versuchte gelegentlich unbeschwert zu wirken, er war aus der Oberschicht und hatte sich ohne schlechtes Gewissen mit Familie im bürgerlichen Schweden eingerichtet. Hochmoralisch und mitfühlend zwar, trug der Snob gute Anzüge, liebte exquisite Speisen und konnte Malt Whisky von Bourbon unterscheiden. Ab Band elf hat sich Winter allerdings seinen berühmten Kollegen angepasst: Er ist nun auch traumatisiert, liebt zwar immer noch guten Alkohol, aber viel zu viel davon, leidet Seelenqualen und ob er mit seiner Familie je wieder unter einem Dach zusammenkommen wird, bleibt offen. Liegt die Metamorphose seiner zentralen Gestalt daran, dass sich Edwardson von der Regel der Sjöwall/Wählöö’schen Dekalogie verabschiedet hat? Zwar ist sein Mann im zehnten Fall folgerichtig „untergegangen“, er hat ihn aber wiederauferstehen lassen. „Er habe ihn vermisst“, sagte Edwardson.
Wenn sich auch der Charakter Erik Winters in „Marconipark“ dem durchschnittlichen skandinavischen Ermittler-Typus angepasst hat, bleibt Åke Edwardson narratorisch trotzdem der interessanteste Krimiautor Schwedens. Was ihn auszeichnet, ist die Dialektik im Fall, sind seine brillanten, oft philosophischen Dialoge, die Andersartigkeit seiner Krimisprache. Für Thrillersüchtige mag seine Art gewöhnungsbedürftig erscheinen, zu entschleunigt sind seine Schuld- und Sühne-Projekte. So wortkarg sind die Dialoge, dass der Leser/die Leserin gerne mal zum Bad Cop würde, mit dem Ziel, sowohl den Ermittlern als auch den Zeugen die Worte aus dem Mund zu schütteln. Für Genießer bieten Edwardsons Krimis allerdings eine gelungene Mischung aus literarischem Anspruch und detektivischer/psychologischer Spurensuche.
Info:
Autor: Åke Edwardson
Titel: „Marconipark“
Erscheinungsjahr: 2015
Ullstein, 400 Seiten