Neue Jugendliteratur aus Schweden

von Mar­ti­na Sander

Mutige Mäd­chen in Hosen, ängstliche Jungs in Röck­en – und alles auch wieder umgekehrt. Das schon als Trans­gen­der-Lit­er­atur zu sehen, wäre vielle­icht über­trieben, aber das The­ma schim­mert neben anderen durch. Zwei neue Büch­er aus dem Ver­lag Freies Geis­tesleben bieten Jugendlichen (ab 10) Lesev­ergü­gen auf hohem Niveau, als Gegen­wart­slit­er­atur oder Historiendrama:

Wenn ich mich zwis­chen ‚sich­er‘ und ‚lustig‘ entschei­den müsste, würde ich alle­mal „lustig“ wählen.“

Bil­lies Mut­ter hat MS, ist stark übergewichtig und ganz schön depres­siv. Das Jugen­damt befind­et, dass Bil­lie – obwohl ganz schön tough – nicht ihre Mut­ter umsor­gen, son­dern eine Fam­i­lie sich vielmehr um Bil­lie küm­mern sollte. Und so lan­det Bil­lie auf dem Land, so ländlich, dass Bil­lie, als das Auto vor dem Haus der neuen Pflege­fam­i­lie bremst, nicht ein­mal gemerkt hat, dass sie schon im Ort angekom­men ist.

Sara Kade­fors „Bil­lie – Abfahrt 9:42“, mit ihren Dread­locks, ihrer ent­waffnen­den Offen­heit und ihrer pos­i­tiv­en Leben­se­in­stel­lung, mis­cht nicht nur die Dorf­be­wohn­er auf, son­dern hil­ft auch ihrer neuen Fam­i­lie aus ihrer Trauer her­auszufind­en. Und Bil­lie selb­st, die Gefüh­le nur aus Seifenopern ken­nt, ent­deckt Fre­und­schaft und Liebe und kann nach und nach famil­iäre Bindun­gen zulassen.

Ein Buch ganz ander­er Art und doch auch nicht ist Anni­ka Thors “Vorhang auf für Johan­na“. Denn wieder ver­lässt ein schwedis­ches Kind die gewohnte Umge­bung und muss sich völ­lig neuen Her­aus­forderun­gen stellen. Während Bil­lie flap­sig ihr Leben im mod­er­nen Schwe­den kom­men­tiert, ist Johan Teil eines span­nen­den His­to­rien- und Kostüm­dra­mas, in ein­er Shakespeare’schen Theaterszenerie.

War es vielle­icht für Mäd­chen ein­fach­er, unent­deckt zu bleiben? Waren Jun­gen aus dem Waisen­haus leichter zu erken­nen, und das nicht nur wegen der geschore­nen Haare?”

Ein Junge springt über den hohen Zaun und sieht sich plöt­zlich als Anklei­derin eines Wan­derthe­aters, in sein­er per­sön­lichen Ver­sion von „Wie es euch gefällt“. Johan/Johanna und Gustav/Stava spie­len die Hosen- und Rock­rollen mit Bravour, wer­den ver­wech­selt, ver­fol­gt, fast getötet, wiederge­fun­den und gefeiert. Und Johan find­et neben­bei auch noch her­aus, wer er wirk­lich ist. Bis der let­zte Vorhang in diesem Shakespeare’schen Jugen­dro­man aber wirk­lich fällt, durch­lei­den die Kinder noch viele unvorherge­se­hende Wendungen.

In bei­den Com­ing-of-Age-Geschicht­en geht es vor allem um Iden­titäts­find­ung, um Zuge­hörigkeit, um famil­iäre Bindun­gen, auch um Fre­und­schaft. Die The­men wer­den sen­si­bel aufge­grif­f­en, ohne den Zeigefin­ger zu erheben, die Plots sind stim­mig und die Sprache ist anspruchsvoll. Damit kön­nen die Büch­er auch denen gefall­en, die der Jugendlit­er­atur eigentlich entwach­sen sind.

 

Info:
Sara Kade­fors: Bil­lie. Abfahrt 9:42 (Bil­lie: Avgång 9:42 till nya livet)
Über­set­zt von Lot­ta Rüegger 
Erschei­n­ungs­jahr: 2017
Altersstufe: ab 12 Jahren
176 Seit­en, Urachhaus

Anni­ka Thor: Vorhang auf für Johan­na (Dit ljuset inte når)
Über­set­zt von Bir­git­ta Kicherer 
Erschei­n­ungs­jahr: 2017
Altersstufe: ab 12 Jahren
239 Seit­en, Urachhaus