von Martina Sander
- Glaubst du, das stimmt, das mit dem Zahnrad und dem Gewissen.
— Was denn.
— Na ja, dass das Gewissen wie ein Zahnrad ist oder sogar wie eine Kreissäge, die sich mit ihren scharfen Zähnen in der Seele dreht und verdammt wehtut, und das Blut spritzt, wenn du etwas Schlimmes machst, und dann machst du immer weiter, und die Zähne werden stumpf, und die Seele bekommt Schwielen, und sie merkt gar nicht mehr, wenn das Rad sich dreht und dann bist du einer von denen geworden.
Trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Charaktere und ihrer Lebensumstände waren sie Seelenverwandte und Gefährten: Jim, der Gymnasiast, der allein bei seiner verwitweten Mutter in der Enge ihrer Religiosität aufwuchs; Tommy, der mit drei Geschwistern bei seinem gewalttätigen alleinerziehenden Vater lebte.
Tommy hat es nun 30 Jahre später in der Finanzbranche zu Wohlstand und einem Alkoholproblem gebracht. Jim ist Bibliothekar geworden, aber wegen seiner Depressionen ein Jahr krankgeschrieben. Die zufällige und nicht gewünschte Begegnung der Jugendfreunde setzt bei beiden äußerst ambivalente Erinnerungen frei. Über Rückblenden tastet sich der Leser/die Leserin mit ihnen an die Kindheit der beiden Jungen heran und erfährt, welch einschneidendes Erlebnis zu deren Entfremdung geführt hat.
Die faszinierendsten Analysen männlicher Seelenlagen kommen derzeit aus Norwegen. Neben Knausgårds autobiografischem Kampf zeigt nun auch Petterson – beide sind sicher die wichtigsten Gegenwartsautoren Norwegens – meisterlich auf, wie ein Mann heute denkt und fühlt.
Wie bestimmt ein negatives (Tommy) oder gar kein Verhältnis zum Vater (Jim) zukünftige Handlungen? Wie können an sich nichtige Erlebnisse in der Kindheit durch die subjektive Bewertung der Akteure bedeutsam werden? Per Pettersons neuestes Buch weist zwar die für ihn typischen Ingredienzen auf: Coming-of-Age-Story, häusliche Gewalt, Schwermut – ist dabei aber sicherlich sein düsterstes Werk. Schon der Titel „Nicht mit mir“ bündelt die ganze Facette innerer (Abwehr-)Haltungen. Mit lakonischen Worten spinnt der Autor ein engmaschiges Netz um seine passiven Personen, die sich nicht befreien können. Ihr Gefühl ist das der Resignation, des Ausgemustertseins, ihre Taten werden vor allem vom Fluchtverhalten bestimmt. Seine Figuren bemühen sich zwar erst einmal, agieren vielleicht sogar, aber scheitern letztendlich nicht einmal mehr an den Verhältnissen, sondern an ihrem eigenen neurotischen Verhalten. Per Petterson rührt hier wie schon in seinen früheren Werken an alte (gesellschaftliche) Wunden, findet aber vor allem innere Leere, Einsamkeit, Resignation. Er wirft Fragen auf, aber gibt keine Lösungshilfe – und so bleibt auch folgerichtig das Ende des Buches offen.
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Info:
Nicht mit mir (Jeg nekter)
von Per Petterson
Erscheinungsjahr: 2014
Carl Hanser Verlag, 299 Seiten
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