Der Comic “Stieg Larsson: Vor der Millennium-Trilogie” malt ein zweifelhaftes Bild
Mit seiner Millenium-Trilogie ist der Schriftsteller und Journalist Stieg Larsson unsterblich geworden. Seine Bücher verkaufen sich weltweit millionenfach und auch die Romanverfilmungen dürfen sich Blockbuster nennen. Ein überragender Erfolg, den der Schwede, der 2004 an den Folgen eines Herzinfarkts verstarb, selbst nie miterlebt hat. Die ersten drei von insgesamt zehn geplanten Kriminalromanen wurden daraufhin allesamt posthum veröffentlicht und über den Autor und dessen Leben wissen die Leser nur wenig. Genau diesem Thema widmet sich jetzt die jüngst beim Avant-Verlag erschienene Comic-Biographie “Stieg Larsson: Vor der Millennium-Trilogie”.
Schriftsteller Guillaume Lebeau und Künstler Frédéric Rébéna aus Frankreich erzählen darin skizzenhaft drei prägende Momentaufnahmen aus Larssons kurzem Leben: Larssons Kindheit im verschneiten Nordschweden, seinen intensiven Aufenthalt bei der Guerilla in Eritrea und Larsson im Kampf gegen die schwedischen Neonazis und der damit einhergehenden Entstehung seines antifaschistischen Magazin Expo.
Der 63 Seiten umfassende Comic behauptet sich besonders durch die künstlerische Aufmachung. Rébénas dramatische Zeichenstriche und seine sehr dynamischen Schwarz-Weiß-Bilder erschaffen eine düstere, fast unheimliche Atmosphäre, die perfekt mit den dargestellten Szenen harmoniert. Ausdrucksstarke Augen geben dem Leser ein seltsames Gefühl vom mitten-in-der-Szene-sein, während scheinbar aggressive Menschenmassen ein unwohles Gefühl erzeugen. Denn die engen Bilder fokussieren das Wesentliche, Unwichtiges gibt es nicht.
Leider geht der Comic aber auch inhaltlich nicht groß ins Detail. Selbst die drei dargestellten Szenen erscheinen unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissen und sind nur flüchtige Momentaufnahmen im wohl doch komplexeren Leben Stieg Larssons. Auch der viel zu frühe Tod des Autor, die nachträglichen Veröffentlichungen, der Erfolg, der Erbschaftsstreit sind interessante Themen, die – wie der Titel ja schon verrät — leider komplett fehlen. Aber selbst die dargestellten Szenen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.
Larsson, der sich selbst gerne als Feminist und Kämpfer für Frauenrechte bezeichnete, wird in der Eritrea-Episode als chauvinistischer Frauenvernascher und notorischer Fremdgänger dargestellt. Sexismus in reinster Form — der alles könnende, eloquente Freiheitskämpfer inmitten von schlanken, willigen Schönheiten.
Dieses Bild will so gar nicht mit den Vorstellungen, die sich Leser von dem Erschaffer von Lisbeth Salander und Erika Berger gemacht haben, und der dem Comic angehängten Larsson-Biographie harmonieren. Es scheint als haben die Autoren hier (unbewusst?) leider das Bild eines klassischen Comichelden statt ihrer eigentlichen Titelfigur gezeichnet.
Somit ist der Comic zwar sehr künstlerisch und spannend, aber leider doch zu unvollständig und zusammenhangslos. Da hilft auch die sehr ausführliche Biographie am Ende des Comics nicht mehr. Denn es sind genau diese Informationen, die entweder vor dem Comic gelesen werden müssten, um die Bilder verständlich zu machen (und wo bleibt dann der Comic-Spaß?), oder sie hätten gleich die Bilder sein sollen. Zusammen-gefasst ist der kurze Comic also sehr ambivalent: Wunderschöne Bilder, gepaart mit unpräzisem Inhalt.
Wer sich selbst ein Bild machen will, kann den Comic portofrei beim avant-verlag bestellen!