von Martina Sander
Wenn ich zu Hause saß und schrieb, fand ich, dass meine Texte gut waren, und dann folgte die kritische Diskussion in der Akademie, die immer auf das Gleiche hinauslief, der Form halber etwas höfliches Lob…ehe sie erklärten, der Text sei voller Klischees und Stereotypen, vielleicht sogar uninteressant. Am meisten schmerzte es mich jedoch, dass er unreif war.
„Unreife“ dürfte für den Autor kein Thema mehr sein: Inzwischen wurde „Min Kamp“ in mehr als 30 Sprachen übersetzt, Karl Ove Knausgård wird als jetztzeitiger Proust gehandelt und gilt als einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Gegenwart. Gerade ist Band Fünf „Träumen“ erschienen, die vorletzte Folge seines Selbstbeobachtungsepos, dem dann mit Band Sechs nur mehr die Analyse seiner Berühmtheit folgt und wie sie zurückwirkt auf den Autor und sein soziales Umfeld. Denn die Radikalität und Schonungslosigkeit seines autobiographischen Mammutprojekts, mit der er sich über rund 4000 brilliant geschriebene Seiten selbst zu therapieren versucht, greift weit. Er fügt seinen Weggefährten durch seinen Willen, sein Leben bis ins Kleinste abzubilden, sei es auch noch so peinlich oder banal, ja Verletzungen zu, indem er sie ungefragt zu öffentlichen Personen schreibt (seine Frau ist in der Psychiatrie, der Onkel prozessiert, Exfreundinnen klagen öffentlich an).
Der Hype lässt vermuten, dass ein Klima, das Facebook und Big Brother ermöglicht hat, auch beim bürgerlichen Leser das Interesse geweckt, sich lustvoll fremdzuschämen, als Voyeur auf einer Welle mitzuschwimmen, bei einem Autor, dem nichts zu privat für die öffentliche Darstellung ist. Egal. Die Knausgård’sche Erinnerungsprosa zeigt sich wieder mit so viel sprachlicher Eleganz und essayistischem Potenzial, so kraftvoll und schön, dass man süchtig nach seiner Innenschau ist und nach seinem Erzählstrom lechzt.
In „Träumen“ geht es nun um die 14 Jahre seiner Bergener Zeit, von 1988 bis 2002; um seinen ersten Roman, eine längere Beziehung, Alkohol-Exzesse, natürlich um Selbstzweifel und persönliches Scheitern: „Ich wusste so wenig, wollte so viel, brachte nichts zustande.“ Und wieder stellen sich die typischen Nebeneffekte ein: Alle fünf Bände zusammen bilden nicht nur Knausgårds Leben ab, sondern ermöglichen auch eine Analyse der Seelenlage des modernen skandinavischen Mannes, der nicht nur sich, sondern auch den Feminismus bejammert. Und die Lektüre erlaubt einem selbst den Abgleich nach der eigenen verlorenen Zeit, profan, indem der Schallplattenschrank durchwühlt wird, oder nicht ganz so profan in längeren eigenen Rückerinnerungsversuchen.
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Info:
Autor: Karl Ove Knausgård
Titel: Träumen (Min Kamp V)
Erscheinungsjahr: 2015
Luchterhand Literaturverlag, 800 Seiten
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