Camilla Zuleger ist 27 Jahre jung und kommt aus Dänemark. Sie hat einen Master in Dänischer Literatur und Rhetorik und seit 2017 auch einen eigenen Verlag. In ihrem “Nord Verlag” verlegt Camilla unbekannte, nordische Autor*innen für ein deutschsprachiges Publikum, das “die neue, die wilde und die experimentelle” Literatur des Nordens lesen will. Wir haben mit Camilla Zuleger über ihre Anfänge beim Verlegen, die Vielfalt in der Literatur und nordische Autorinnen gesprochen.
Warum wolltest du einen Verlag gründen, der nordische Bücher ins Deutsche übersetzt?
Mir sind Bücher immer wichtig gewesen, und das Medium, finde ich, wird noch wichtiger in einer Zeit, in der alles unbedingt schnell gehen muss, in der wir es immer schwieriger finden, uns für längere Zeit zu konzentrieren, und in der es Teilen der Gesellschaft schwerer fällt, Empathie mit Menschen zu fühlen, die unterschiedlich von ihnen selbst sind. Das sind alles Sachen, die Bücher können, und die wir aus Büchern lernen können.
Nach meinem Literaturstudium war mir deswegen immer klar, dass ich mich mit Literatur beschäftigen würde. Aber gleichzeitig, war es mir wichtig, die Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland behalten zu können. Und nach einigen Überlegungen und ganz vielen Gesprächen mit Freunden, wurde mir klar, dass ein deutscher Verlag für nordische Literatur vielleicht gar keine schlechte Idee wäre.
Wie ist dein Verlag aufgebaut? Wie sieht dein Verlagsalltag aus?
Einen Alltag im Verlag im traditionellen Sinne habe ich nicht. Ich habe einen Job, bei dem ich jeden Tag von 9–17 Uhr bin. Deswegen werden alle Sachen für den Verlag abends, nachts und am Wochenende erledigt. Es ist natürlich nicht optimal, aber bis jetzt funktioniert es. Ich kann auch gut unterwegs arbeiten und da mein „Arbeitsplatz“ meistens Emails
und Instagram sind, funktioniert das auch super in den kleinen, freien Momenten während des Tages.
Wie kam es zu dem Namen „Nord Verlag“?
Ich fand es wichtig, dass man leicht identifizieren kann, worum es geht. Ehrlich gesagt, hatte ich keine Lust, ständig eine Geschichte über den Namen erzählen zu müssen, die sich sowieso niemand merken kann. Und im eigenen Namen einen Verlag zu gründen, fand ich auch etwas zu viel. Ich finde es schön, dass “Nord” das gleiche auf Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Deutsch heißt, und dass es dadurch auch die Grundidee des Verlags widerspiegelt.
Wie hast du dich für deine Autor*innen entschieden?
Ich verlege nur Bücher, die ich selbst gekauft, gelesen und geliebt habe. Also Bücher, die schon in meinem Regal standen. Das Ziel des Verlages ist es, die Breite des Nordens zu zeigen und Titel zu präsentieren, die vielleicht keine Bestseller gewesen sind, aber trotzdem etwas Besonderes geschaffen haben. Kurz gesagt, erscheinen im Nord Verlag keine Bücher, die typisch nordisch, sondern die, die charakteristisch nordisch sind.
Wie lief der Prozess von der ersten Entscheidung das Buch zu verlegen, bis hin zum fertigen Buch in deiner Hand?
Erstmal einen Übersetzter oder eine Übersetzerin finden. Danach die Rechte verhandeln und Förderung beantragen. Erst dann wird es richtig spannend Bücher herauszugeben, weil dann der Prozess des Lektorierens kommt. Eine Druckerei finden, eine Umschlaggestaltung, einen Marketingplan machen usw.
Was bedeuten Bücher für dich?
Außer dass ich viele lese und noch mehr kaufe, finde ich das Medium – unabhängig vom Inhalt – wichtig. Die Dauer eines Buches, die Idee etwas für länger, vielleicht für immer, in die Welt zu bringen, finde ich wichtig. Und war mir auch persönlich wichtig. Während meines Studiums hatte ich mir vorgestellt, später zu promovieren. Aber als ich fertig wurde, verspürte ich einen Drang, etwas „eigenes“ zu schaffen, und nicht immer „nur“ über die Arbeit anderer zu schreiben. Obwohl ich die Bücher nicht selbst
geschrieben habe, fühlen sie sich trotzdem wie meine eigenen an. Und es ist mir wichtiger geworden, aktiv an der Welt teilzunehmen.
Was ist dein persönliches Lieblingsbuch, das du immer und immer wieder lesen kannst?
Ich lese selten Bücher mehrmals, außer die vom Verlag. Dafür gibt es aber
Autorinnen, zu denen ich immer wieder zurückkehre, z.B. Susan Sontag, Karen Blixen und Rebecca Solnit. Aber z.B. auch Tomas Espedal, Wolfgang Herrndorf und Kate Tempest.
Skandinavische Bücher sind in Deutschland sehr beliebt. Was glaubst du, woran das liegt?
Ein riesiges Marketingbudget! Skandinavien hat es geschafft, die Gesellschaftsmodelle und Lebensweisen so gut zu verkaufen, dass gefühlt alles gut ankommt, wenn es aus dem Norden ist. Aber wenn die Frage ist, warum die skandinavischen Krimis so beliebt sind, dann habe ich keine Antwort. Spannung und Unterhaltung ist zwar gut, aber richtig viele Krimis beschreiben auch brutale Frauenmorde- oder folterung, und das halte ich einfach nicht aus. Ich glaub, dass es mittlerweile auch die dunkle Seite des Nordens widerspiegelt: Wir sind glücklich, haben aber auch hohe Gewalt- und Suizidraten, Gleichberechtigungsprobleme und einen steigenden (und super unheimlichen) Rechtspopulismus.
Wie hat sich die skandinavische Literaturlandschaft in den letzten Jahren entwickelt? Siehst du einen Trend?
Die Literatur ist in den letzten Jahren politischer geworden. Die Autor*innen benutzen ihre Stimme, um einen Unterschied in der Gesellschaft zu machen, und verhalten sich aktiv zu ihrer Umgebung. Es gibt also auch ein steigendes Bewusstsein: Worüber darf, soll und kann man als Autorin schreiben und in wie fern spielt es eine
Rolle, wie man aufgewachsen ist? Das wird sowohl auf einer thematischen als auch stilistischen Ebene deutlich.
Eine letzte Frage: Welche Autor*innen kannst du besonders empfehlen?
Die Dänin Suzanne Brøgger hat etwas Besonders in mir geweckt, und die lese ich immer gerne. Das gleiche gilt für Karen Blixen, die absolut einzigartig ist. Ihre Bücher gleichen keinen anderen und sie haben eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Aber auch Athena Farrokhzad, Jonas Khemiri oder Claudia Rankine kann ich empfehlen.
Und man sollte nicht nur literarische Beiträge, sondern auch Essays, Reportagen und Artikel von Frauen, Minoritäten oder Menschen, die sonst nicht gehört werden, lesen. Der öffentliche Diskurs ist oft von den gleichen Menschen bestimmt, und um uns empathischer verhalten zu können, ist es wichtig, dass wir (bei uns selbst) Platz schaffen, für die, die weniger dominant sind. Weniger alte weiße Männer, mehr Vielfalt.
Vielen Dank!