Die Krise auf der Krim hält derzeit ganz Europa in Atem. Die europäische Union und die USA verhängen Sanktionen. Die EFTA-Staaten, Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz, brachen laufende Handelsgespräche ab, wie die ZEIT berichtet. Sogar die offiziell bündnisfreien Länder Schweden und Finnland denken über einen NATO-Beitritt nach. Die baltischen Staaten aber haben unmittelbare Angst vor einer Aggression Russlands gegen ihr Staatsgebiet und forderten von Anfang an ein härteres Vorgehen gegen die russische Regierung. “Die Geschichte hat überzeugend bewiesen, dass plötzliche Veränderungen in der geopolitischen Landschaft extreme Wachsamkeit, Einheit und einen Blick in die Zukunft erfordern”, Sicherheit könne nicht für selbstverständlich genommen werden, so der scheidende estnische Verteidigungsminister Urmas Reinsalu. Das schrieb The Baltic Times, letzte Woche. Der Verteidigungsminister rief seine Amtskollegen in Lettland und Litauenauf, die Ausgaben des Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Gerade die Begründung der russischen Regierung, ihr Vorgehen auf der Krim diene dem Schutz russischer Bürger im Ausland, beunruhigt die Balten, denn diese Begründung ist auch auf andere Staaten anwendbar. Dieser Schritt ist sogar in der russischen Militärdoktrin festgehalten. Nun reagiert auch die NATO und will ihre Präsenz verstärken, heute wird sie darüber entscheiden.
Russische Minderheiten in den baltischen Staaten
Natürlich waren die Russen, die die russische Regierung auf der Krim schützen wollte, keine russischen Bürger, sondern in der Ukraine lebende ethnische Russen. Russlands Medien sind aber auch auf der Krim präsent und die Russische Föderation fühlte sich offensichtlich für die Russen in der Ukraine verantwortlich (und für den Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte), was auch aus den Tweets des Russischen Außenministeriums hervorgeht.
In den baltischen Ländern leben ebenfalls russische Minderheiten. Besonders in Estland und Lettland sind diese sehr groß, dort machte der Anteil ethnischer Russen 2010 25,5% beziehungsweise 27,6% der Gesamtbevölkerung aus. In Litauen nur 5% (2008). Nach deren Unabhängigkeit 1991 wurden große Teile der russischen Minderheiten als durch die sowjetischen Okkupation bedingt angesehen und nicht als Staatsbürger anerkannt. Sie stellten vielmehr eine Bedrohung für die nationale Identität dar. Seit Beginn der 1990er Jahre wurde in den baltischen Staaten viel getan, um die Behandlung und die Gesetzgebung bezüglich der russischen Minderheiten an internationale Normen anzugleichen. Besonders an der Staatenlosigkeit vieler ethnischer Russen, die in Estland und Lettland tatsächlich “Nicht-Staatsbürger” genannt werden, übt Russland, wohl nachvollziehbar, Kritik. Auch hier fühlt sich Russland offensichtlich zum Schutz verpflichtet, so wiederholt Russland diese Vorwürfe regelmäßig, in den eigenen Menschenrechtsberichten und gegenüber der EU.
Sind die baltischen Staaten bedroht?
Weder die Darstellung in den Medien, noch die europäische Politik sind ausgewogen. Doch auf die Gefahr, dass Russland auch in den baltischen Staaten Gebiete besetzen will, gibt es zunächst keine Hinweise.
Frank-Walter Steinmeier besuchte die baltischen Staaten, auch um sie zu “beruhigen”.
Der Politologe Kai-Olaf Lang geht in einem Interview mit der Deutschen Welle nicht von einer direkten Gefährdung der Staaten aus:
Es geht um den großen geostrategischen Zusammenhang und das Kräftegleichgewicht zwischen dem Westen und Russland im post-sowjetischen Raum. Die Ukraine ist das Herzstück der großen strategischen Konstruktion. Das ist bei den baltischen Staaten anders, da sie bereits in EU und NATO sind. Man möchte keine offene Konfrontation mit den baltischen Staaten, aber man ist durchaus bereit, das Schicksal der russischsprachigen Minderheit auch dazu zu verwenden, aktiv zu werden.
Kein militärisches Eingreifen also, aber eine Instrumentalisierung der russischen Minderheit, um auch in den baltischen Staaten die Interessen Russlands durchzusetzen? Dies direkt zu beweisen ist schwer, es gibt, unter anderem mit der Bronze-Soldaten Krise, aber Beispiele, bei denen eine solche Strategie umgesetzt worden sein könnte. Die Balten haben dennoch vor allem vor einem militärischen eingreifen Russlands Angst.
Eingreifen der NATO?
Die baltischen Staaten können sich selbst nicht verteidigen, dazu sind ihre militärischen Kapazitäten zu gering, sie wären also im sehr unwahrscheinlichen Fall eines militärischen Eingreifens Russlands im Baltikum auf die NATO angewiesen, der sie seit zehn Jahren angehören.
Diese will, obwohl von allen Seiten betont wird, dass die Krim-Kriese nicht militärisch gelöst werden könne, reagieren und ihre Präsenz in den baltischen Staaten und Polen verstärken, wie Der Spiegel in dieser Woche berichtet (Nr. 14, S.16f.). Die praktische Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat soll gestoppt, dafür die Zusammenarbeit mit der Ukraine stark ausgeweitet werden. Die Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten und Polen soll mindestens verdoppelt werden. Auch soll ein NATO-Marineverband zum Manöver in die östliche Ostsee auslaufen. Besonders die USA treiben diese verstärkte militärische Präsenz an der NATO-Ostgrenze voran. “Deutschland werde sich, wo immer es sinnvoll sei, an verstärkten Routineoperationen im Bündnisgebiet beteiligen”, hieß es auf Spiegel Online, das sich bei dieser Aussage auf das Umfeld von Steimeier bezieht. Dieser findet aber auch mahnende Worte: „Es kommt jetzt auf zweierlei an: In dieser außerordentlich schwierigen Lage gerade in der Nato mit kühlem Kopf zu handeln und uns in keine Spirale der militärischen Eskalation drängen zu lassen“, sagte er dem Spiegel. Wenn ein militärisches Eingreifen aber sowieso nicht in Frage kommt, warum soll dann die militärischen Präsenz überhaupt verstärkt werden? Wie wird Russland auf eine verstärkte NATO-Präsenz im Osten Europas reagieren? Und werden solche Maßnahmen den baltischen Staaten helfen, werden sie dadurch geschützt? Oder provoziert ein solches Verhalten nicht eher? Fragen die erstmal offenbleiben. Heute wird der NATO-Außenministerrat tagen und über die Maßnahmen entscheiden.