“Aber doch nicht auf Island!”, sagen viele wahrscheinlich. Sie meinen damit dann ein Land, in dem Demokratie und Freiheit schon vor 1000 Jahren ein fester Bestandteil der Gesellschaft waren. Dass Freiheit für Journalisten in eben jenem Land immer weniger selbstverständlich ist, berichtete Ende 2014 Reporter ohne Grenzen.
Schädliche Gesetze
Seit der Finanzkrise und besonders seit 2013 die neue Regierung an die Macht kam, häuften sich die Fälle, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt werde, stellten Reporter ohne Grenzen fest. Sie kritisieren in ihrem aktuellen Bericht auch die isländischen Verleumdungsgesetze: Die Verurteilung wegen Verleumdung kann bis zu zwei Jahre im Gefängnis sowie hohe Geldstrafen nach sich ziehen. “Strafschadenersatz ist in solchen Angelegenheiten nicht Bestandteil der isländischen Kultur, wie in einigen anderen Ländern, aber solche Ersatzansprüche bedrohen die Meinungsfreiheit und Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien durch ihre abschreckende Wirkung.”, heißt es dazu auf den Seiten des International Modern Media Institute. Die Höchststrafe fordert derweil Þórey Vilhjálmsdóttir, die politische Beraterin der (frisch zurückgetretenen) Innenministerin Islands, für die Journalisten Jón Bjarki Magnússon und Jóhann Páll Jóhannsson. Sie hatten Vilhjálmsdóttir fälschlicherweise als Quelle für das Durchsickern von Unwahrheiten und Fehlinformationen über den Nigerianer Tony Omos identifiziert, der in Island einen Asylantrag gestellt hatte. Tatsächlich hatte ein anderer Berater die Fehlinformationen an einige Medien weitergeleitet, um so die öffentliche Meinung zu beeinflussen und das Innenministerium, das Osmos abschob, in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
Innerhalb weniger Stunden hatten sich die beiden Journalisten in Form einer Pressemitteilung bei Þórey Vilhjálmsdóttir entschuldigt. Im Vorfeld hätten die Reporter mehrmals versucht eine Stellungnahme zu den Vorwürfen bei Vilhjálmsdóttir einzuholen, doch diese weigerte sich zu antworten. Im Bericht von Reporter ohne Grenzen heißt es, dass die Organisation bedaure dass Vilhjálmsdóttir die Höchststrafe für die Journalisten fordere und appelliert an sie: Das Innenministerium sei auch für die Menschenrechte verantwortlich, “Vilhjálmsdóttir sollte sich ihrer Verantwortung im Bereich der Pressefreiheit bewusst sein”. Auch die isländische Regierung sei gefordert und solle die Gesetze ändern.
Alle führenden Medienredakteure mussten zurücktreten — außer einem
Reporter ohne Grenzen stellen außerdem fest, dass in diesem Jahr alle Chefredakteure führender Medien in Island zurücktreten mussten — bis auf einen: Ex-Premierminister und Ex-Nationalbankchef Davíð Oddsson, der nun Chefredakteur der Zeitung Morgunblaðið ist.
Islands größtes Medienunternehmen 365 Media, hat laut Reporter ohne Grenzen zwei seiner Chefredakteure entlassen. Dafür wurde die frühere Sprecherin des Ehemannes der 365 Media-Besitzerin Ingibjörg Stefania Pálmadóttir eingestellt. Pálmsdóttirs Ehemann, der Unternehmer Jón Ásgeir Jóhannesson hat auch in der Finanzkrise auf Island eine größere Rolle gespielt, er verlor große Teile seines Vermögens. Mehrere weitere Redakteure sollen 365 Media wegen des Austauschs der Chefredakteure verlassen haben. Auch der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Senders RÚV wurde zusammen mit 60 Mitarbeitern entlassen. Laut RÚV, weil dem Sender das Budget um 500 Millionen Kronen (über 3,2 Millionen Euro ) gekürzt wurde.
“Politische Interessen haben einen negativen Einfluss auf die Informationsfreiheit”
RÚV wurde bis 2007 durch ein Lizenzgebührensystem finanziert, das ähnlich wie die deutsche Rundfunkgebühr funktionierte. Laut Reporter ohne Grenzen besitzt der Staat aber seit 2008 den Sender und kontrolliert seit 2009 auch die Finanzierung und damit das Budget von RÚV. Neben diesem Verlust der strukturellen Unabhängigkeit käme es in den letzten beiden Jahren vermehrt auch zu einem Verlust redaktioneller Unabhängigkeit. Die seit 2013 regierende liberal-konservative Regierung habe wiederholt die Aufbereitung der Berichterstattung durch RÚV kritisiert und als Vorwand benutzt das Budget zu kürzen. Als Beispiel wird Vigdís Hauksdóttir angeführt, die als Vorsitzende des Haushaltsausschusses über RÚVs Budget mitbestimmt:
“Ich denke, dass eine unnatürliche Menge Geld an RÚV geht. Besonders, wenn sie bei der Berichterstattung der Nachrichten keine bessere Arbeit leisten. Sie mögen eine bestimmte Plattform und neigen nach links. Jeder, der das sehen will, kann es sehen. Ich versichere Ihnen, das das wahr ist, und kann jederzeit und überall bestätigen, dass [RÚV] sehr pro-EU ist. “, sagte sie in einem Gespräch auf dem Radiosender Bylgian. Nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen übt das ganz klar Druck auf die Journalisten von RÚV aus.
“Politische Interessen haben seit dem Finanzcrash 2008 einen negativen Einfluss auf die Informationsfreiheit in Island”, stellte Reporter ohne Grenzen fest. Seit 2008 hat Island sich in der Rangliste der Pressefreiheit, einem Ranking der Nichtregierungsorgnisation, um acht Plätze verschlechtert. Von Platz eins im Jahr 2008 auf Platz acht im Jahr 2014. Das ist ein eine deutliche Verschlechterung. Deutschland hat im gleichen Zeitraum sechs Plätze gut gemacht, von Platz zwanzig auf Platz 14. Warum Island gerade im Jahr 2008 ganz vorn gelistet war, ist allerdings unverständlich: Denn in Island hatte im Fall der Finanzkrise nicht nur die Regierung versagt, die den Banken scheinbar keine Grenzen setzte, sondern auch die Medien, die nicht in die Öffentlichkeit brachten, was in die Öffentlichkeit gehörte.
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