von Christina Milcher
Aktuelle Situation
Vier Wochen nach den Enthüllungen der Panama Papers sind die Proteste in Island noch immer in vollem Gange. Nach dem Rücktritt von Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ist nun der Fischereiminister Sigurður Ingi Jóhannsson neuer Premier. Die Regierung hat für den Herbst Neuwahlen versprochen, aber noch keine genauen Angaben zum Datum gemacht.
Proteste
Die Protestierenden sehen die ganze Regierung als korrupt, verlangen deren Rücktritt und sofortige Neuwahlen. Fänden jetzt Neuwahlen statt, könnte das allerdings auch für die im Moment stärkste Oppositionspartei, die Piraten, ein Problem darstellen: Sie sind nach eigener Aussage noch nicht zum regieren bereit. Unter anderem fehlt ihnen noch ein vollständiges Parteiprogramm.
Die Protestierenden stört das nicht, sie befürchten vielmehr, dass die derzeitige Regierung die nächsten Monate nutzen wird, um Gesetzesänderungen durchzudrücken, die die Interessen ihrer Freunde und Unterstützer stärken. Vor Kurzem beschloss die Regierung zum Beispiel die Kürzung der Haftzeiten: Damit hat sich die Haftstrafe, der wegen Betrugs verurteilten Bänker, erheblich verkürzt.
Hintergrund
Die sogenannten Panama Papers kamen Anfang April an die Öffentlichkeit. In den Unterlagen des panamaischen Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca werden zahlreiche Steuer- und Geldwäschedelikte belegt. Mehrere isländische Politiker werden dort aufgeführt, allen voran der isländische Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson. Er besaß, zusammen mit seiner Frau, bereits seit 2007 die Offshore-Firma Wintris. Wintris war an den drei isländischen Banken Kaupthing, Landsbanki und Glitnir beteiligt, die in der Finanzkrise insolvent gingen.
Sigmundur Davíð Gunnlaugsson wurde nach der Finanzkrise Teil einer Graswurzelbewegung. Er forderte unter anderem die isländische Krone zu behalten (statt den Euro einzuführen) und kein isländisches Geld im Ausland anzulegen. 2009 wurde er Vorsitzender der Fortschritts-Partei und im April 2009 wurde er ins Parlament gewählt. Sigmundur Davíð besaß noch immer die Offshore-Firma Wintris. Erst Ende 2009 verkaufte er sie an seine Frau — für einen US-Dollar. Dem Parlament soll er Wintris verschwiegen haben, obwohl damals eine neue Transparenz-Regelung für Abgeordnete in Kraft trat: Wer mehr als 25 Prozent an einer Firma hielt, musste sie melden.
Ein Gesetz aus dem letzten Jahr lässt den Ex-Premier zusätzlich schlecht aussehen: Nach dem Zusammenbruch der Banken in Island 2008, mussten Investoren, die Gelder aus Island abzogen, eine Stabilitätssteuer von 39 Prozent bezahlen. 2015 schaffte die Regierung aus Fortschritts- und Unabhängigkeitspartei diese Steuer ab — zugunsten eines Stabilitätsbeitrags. Laut The Reykjavík Grapevine entgehen dem Staat dadurch umgerechnet zwei Milliarden Euro, die nun an die Gläubiger der Banken gehen — darunter die Firma Wintris.
Die Panama Papers haben in Island die größten Proteste in Islands Geschichte ausgelöst, über 8000 Menschen gingen gegen die Regierung auf die Straße.
Im März 2016 konfrontierten der schwedische Journalist Sven Bergman und der isländische Journalist Jóhannes Kr. Kristjánsson den Premier mit Wintris, woraufhin Sigmundur Davíð das Interview abbrach.
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