In seiner Doktorarbeit geht Nikolas Sellheim der EU Verordnung zu Robbenprodukten auf den Grund. Dabei verbindet er Rechtswissenschaft mit Anthropologie. So war er im April dieses Jahres zwei Wochen auf einem Boot mit kanadischen Robbenjägern unterwegs und verbrachte weitere zwei Wochen im Norden Neufundlands in den Kommunen, die von der Robbenjagd leben und eine Woche arbeitete er in einer Fabrik, die Robbenprodukte herstellt. Auch den November 2013 verbrachte er in Neufundland, in Jägerkommunen sowie in der Industrie.
Nikolas kam 2002 nach Berlin und wurde zunächst Tierarzthelfer, bevor er sich dem Studium der Nordeuropastudien an der Humboldt-Universität zuwendete. Außerdem nahm er am Arctic Studies Program (ASP) in Rovaniemi, im Norden Finnlands, teil. Im Rahmen des Arctic Studies Program schloss er dann mit einem Bachelor of Circumpolar Studies ab, gleichzeitig beendete er sein Studium in Berlin mit einem Bachelor in Nordeuropastudien. Seinen Master absolvierte er im isländischen Akureyri im Fach Polar Law. Zur Zeit ist er Doktorand an der University of Lapland in Rovaniemi und Forscher an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität.
Besser Nord als nie befragte Nikolas zu seinen Erfahrungen als Beobachter bei der Robbenjagd, den Unterschieden zwischen Wildschweinen und Robben und den Auswirkungen des EU-Handelsverbots auf das Leben der Jäger.
Hallo Nikolas, wie bist du auf die Idee gekommen, dich mit dem Handelsverbot für Robbenprodukte der EU zu beschäftigen?
Die Idee kam mir, als ich an einem Projekt für das Europäische Parlament und einem für die Europäische Kommission gearbeitet habe. Das Thema kam immer wieder auf und es dämmerte mir, dass damit irgendetwas nicht stimmte, denn der Diskurs zu Robben und Robbenjagd lässt die menschliche Dimension gänzlich außen vor. Inuit und andere indigene Völker sind ja bekanntermaßen rechtlich nicht von dem Verbot betroffen und es wird sich oft auf ‚Kultur‘ und ‚Tradition‘ bezogen, wohingegen die kommerzielle Robbenjagd als reine ökonomische Aktivität dargestellt wird. Dies konnte ich mir so einfach nicht vorstellen und habe mich deswegen entschlossen, die Verordnung 1007/2009 genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich wollte herausfinden, wie es dazu kam, welche politischen Diskurse vorherrschten und was genau die Verordnung eigentlich ist und macht. Um eine bessere Vorstellung zu bekommen, habe ich mich dann entschlossen selber an der Jagd teilzunehmen und einen Blick in die Industrie zu werfen.
Du warst mit den Robbenjägern in Kanada unterwegs und hast mit ihnen gelebt. Was waren für dich besonders intensive Erfahrungen und welcher Eindruck bleibt?
Die Erfahrungen sind sehr schwer in Worte zu fassen. Ich habe fast zwei Wochen mit sechs Männern auf einem kleinen, 15 m langen, Boot in den Gewässern im Nordosten Neufundlands verbracht ohne dabei einen Fuß auf Land zu setzen. Meine Erfahrung ist, dass die Robbenjagd wirklich kein Spaß ist und ein absolutes Muss für die Menschen in den kleinen Kommunen. Es gibt keine oder nur ganz wenige Alternativen. Außerdem kann man die Fischerei von der Robbenjagd nicht unterscheiden. Die Menschen nutzen alle Ressourcen, die das subarktische Klima bietet. Dazu gehören auch Fische, Vögel und Elche. Ohne diese Ressourcen wäre ein Leben an diesen Orten nicht möglich und der Zusammenbruch der Märkte für Robbenprodukte in der EU hatte drastische Auswirkungen auf die Menschen.
Die kommerzielle Robbenjagd ist ein gefährlicher Knochenjob, der wirklich äußerste körperliche Fitness erwartet und in einer Gegend stattfindet, die alles andere als freundlich ist. Es ist kalt, nass und das Boot kämpft sich durch das Eis. Tagaus, tagein. Das Deck ist glitschig und der oftmals sehr hohe Wellengang, wenn man sich gerade nicht im Eis befindet, macht das Leben an Bord ziemlich schwer. Es ist wirklich unglaublich welche Arbeit die Jagd einem abverlangt. Und dafür ist natürlich viel Disziplin nötig, die sich in den hierarchischen Strukturen auf dem Boot manifestiert haben.
Glaubst du, dass es, bis auf die Tatsache, dass Robben im Wasser und Wildschweine an Land leben, grundlegende Unterschiede zwischen der Jagd auf ein Wildschwein und der Jagd auf Robben gibt?
Dies ist natürlich eine rein emotionale Frage. Ich finde, ein Unterschied besteht nicht mit Bezug auf die Art der Jagd. Lediglich die Anzahl der getöteten Robben pro Tag stellt einen Unterschied dar. Man darf allerdings dabei nicht vergessen, dass die kommerzielle Robbenjagd lediglich auf Sattelrobben im sogenannten „Beater“-Stadium abzielt. Die Robben sind zwischen drei Wochen und vier Monaten alt und sind vollständig unabhängig. Jüngere „Whitecoats“ werden in Kanada schon seit 1987 nicht mehr gejagt. Und es ist eben genau dieses kurze Zeitfenster, das eine schnelle Jagd erfordert.
Ein gängiges Argument, das man oft in den Medien findet und das die Jagd als besonders verschwenderisch darstellt, ist, dass Robben nur ihres Felles wegen gejagt werden. Das ist nicht der Fall. In Neufundland gibt es einen großen Markt für das Fleisch der Flossenarme – die alle aufbewahrt und verkauft werden – und für das Öl, das aus dem Fett der Robben hergestellt wird. Auch Robbenherzen werden aufbewahrt, aus ihnen wird eine neufundländische Delikatesse, gestopfte Robbenherzen, hergestellt.
Ich glaube allerdings, dass ein ganz großer Unterschied in der Berichterstattung über die unterschiedlichen Jagden liegt. Das Gebiet der Robbenjagd ist öffentlich zugänglich und rotes Blut auf weißem Eis sieht nie gut aus. Somit haben Gruppen, die gegen die Jagd protestieren, mit Helikoptern relativ einfachen Zugriff auf emotionsgeladene Bilder. Die Jagd auf Landtiere findet in einem eher abgeschotteten Rahmen statt und ist somit weniger fähig, einer emotionalen Anti-Kampagne ausgeliefert zu werden.
Hast du gesehen wie Robben getötet wurden und kannst du sagen, ob sie dabei leiden mussten, also das „Töten und Häuten […] für diese Tiere mit Schmerzen, Qualen, Angst und anderen Formen von Leiden verbunden“ waren, wie es die EU in ihrer Begründung für das Verbot ausdrückt?
Nein, ich habe nicht gesehen, dass die Tiere leiden. Entgegen oftmals dargestellter Tötungsmethoden werden Robben vom Boot aus in den Kopf geschossen und dann an Bord gezogen, wo ihnen beide Seiten des Schädels mit einer Hakapik – basierend auf kanadischer Gesetzgebung – eingeschlagen werden. Die Hauptvenen werden dann durchtrennt und die Robbe blutet aus bevor sie gehäutet wird. Diese Methode ist eine sehr effiziente Methode und versichert den sicheren Tod der Robbe vor der Häutung. Der sogenannte Three-Step-Process – stunning, checking, bleeding – ist in den kanadischen Bestimmungen verankert und wird streng befolgt, da Kontrollen der Küstenwache oder des Fischereiministeriums bei nicht-Befolgen drastische Strafen nach sich ziehen können (z.B. Lizenzverlust, Beschlagnahmung der Robben oder eine Geldstrafe). Auch aus Sicherheitsgründen ist eine bereits tote oder bewusstlose Robbe einer kämpfenden Robbe vorzuziehen. Denn es liegen Messer an Deck und es ist rutschig. Eine kämpfende, beißende Robbe kann somit auch für die Jäger zur Gefahr werden. Überdies ist ein beschädigter Pelz auch wirtschaftlich schlecht für die Crew, da Pelze nach Qualität beurteilt und entlohnt werden. Eine kämpfende Robbe beschädigt das Fell und somit verliert dieses an Wert. Daher ist ein sofortiger Tod der Robbe aus mehreren Blickwinkeln sinnvoll.
Es ist vorgekommen, dass der erste Schuss kein Volltreffer war. Es ist allerdings lediglich eine Sache von Sekunden bis der Tod der Robbe eintritt, da die Jäger solange auf die Robbe schießen, bis sie tot oder bewusstlos ist. Aber ich würde schätzen, dass 98% der geschossenen Robben nach dem ersten Schuss tot waren und nicht gelitten haben. Was Angst angeht ist zu bemerken, dass der Fluchtreflex bei jungen Robben nicht vorhanden ist. Sie scheinen nicht zu wissen, was passiert und fliehen nicht vor dem Boot oder wenn Schüsse abgefeuert werden. Ich habe lediglich eine Robbe sehen können, die verwundet ins Wasser entschwunden ist.
Man sieht oft, dass sich Robben nachdem sie geschossen wurden, immer noch bewegen. Es sieht aus, als würde die Robbe versuchen, ins Wasser zu entkommen. Dies ist der sogenannte Schwimmreflex, der bei sofortiger Kompression bestimmter Nerven im Gehirn ausgelöst wird. Dies ist der beste Indikator dafür, dass die Robbe tot oder unwiederbringlich bewusstlos ist. Ich habe vollständig ausgeblutete Robben an Deck gesehen, die sich immer noch in dieser Form bewegt haben.
Nächste Woche folgt der zweite Teil des Interviews.
Teil 3 — EU Handelsverbot für Robbenprodukte gefährdet Lebensweise der Inuit
Teil 2 — Robbenjagd – ein umstrittenes Geschäft
Teil 1 — Das EU-Handelsverbot für Robbenprodukte – eine politische Entscheidung?
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