Die Auswirkungen sind drastisch”

Neufundland

Neu­fund­land

Hier nun der zweite Teil des Inter­views mit Niko­las Sell­heim, der ger­ade seine Dok­torar­beit zur EU Verord­nung zu Robben­pro­duk­ten schreibt und im April  zwei Wochen als Beobachter an Bord eines Robben­jäger­bootes an der Küste Neu­fund­lands mit­fuhr. Außer­dem ver­brachte er den Novem­ber 2013 eben­falls in Neu­fund­land, in Jägerkom­munen sowie in der Industrie.

Was sind dein­er Mei­n­ung nach die Gründe für das EU-Han­delsver­bot mit Robbenprodukten?

Die Gründe basieren mein­er Mei­n­ung nach auf Fehlin­for­ma­tio­nen  und auf einem Image, das nicht den Real­itäten des 21. Jahrhun­derts entspricht. Natür­lich waren etwaige Missstände in der Robben­jagd und ver­meintliche ‚Grausamkeit‘ der auss­chlaggebende Grund. Allerd­ings stim­men vet­er­inärmedi­zinis­che Gutacht­en nicht miteinan­der übere­in: Einige sagen, mith­il­fe des Three-Step-Process sei die Robben­jagd ‚human‘, wohinge­gen andere sagen, dies sei nicht der Fall. Ter­mi­ni wie ‚Tier­woh­lerge­hen‘ oder ‚Grausamkeit‘ scheinen somit auch im EU Kon­text poli­tisch kon­notiert zu sein. Dies lässt sich am besten verdeut­lichen, wenn man bedenkt, dass die Ver­ab­schiedung der Verord­nung 1007/2009 im Mai 2009 stat­tfand – cir­ca einen Monat vor den EU Par­la­mentswahlen. Auch eine hochrangin­ge Par­la­men­tari­erin der EU Par­la­mentes bestätigte mir in einem Inter­view, dass eine Für-Stimme für die Verord­nung eher dazu gedacht war, Wäh­lerin­nen und Wäh­lern zu Hause zu zeigen, wie sehr man dem Wohle der Tiere zuge­tan ist.

Es ist natür­lich auch nicht zu ver­nach­läs­si­gen, dass Tier­schutz­grup­pen mas­sive Lob­b­yarbeit­en in Stras­bourg und Brüs­sel geleis­tet haben. Mehrere Mil­lio­nen Euro sind in diese Kam­pag­nen geflossen. Es ist also eher ein­fach­er, einem total­en Han­delsver­bot zuzus­tim­men als diesem kri­tisch gegenüber zu ste­hen. Dies spiegelt sich im Resul­tat der Abstim­mung zur Verord­nung 1007/2009 wider: Für – 550; Gegen: 49; Enthal­tun­gen 41.

Welche Auswirkun­gen hat das Ver­bot auf das Leben der Jäger?

Die Auswirkun­gen sind drastisch. Man muss bedenken, dass, obwohl die Jagd sel­ber nur rel­a­tiv kurz ist, ein sig­nifikan­ter Bestandteil des jährlichen Einkom­mens auf der Robben­jagd basiert, abhängig von den Preisen für Felle, Öl und Fleisch. In guten Jahren machen die Einkün­fte aus der Robben­jagd 30–40% des Jahre­seinkom­mens aus. Da alle Robben­jäger auch Fis­ch­er sind, sind Fis­ch­preise entsprechend wichtig. In diesem Jahr zum Beispiel waren die Preise für Felle rel­a­tiv gut, aber der Pfund-Preis für Krabben nicht. Also ist die Sig­nifikanz der Robben­jagd auch stark von den Fis­ch­preisen abhängig.

Alle Robbenjäger/Fischer, die ich ken­nen­gel­ernt habe und alle Kom­munen im Nor­den Neu­fund­lands, die ich besucht habe, sind nicht reich. Im Gegen­teil. Oft­mals gibt es keine asphaltierten Straßen, kein Inter­net, keinen Emp­fang für Mobil­tele­fone. Mit zunehmen­dem Rück­gang der Erträge aus der Fis­cherei und der Robben­jagd fehlt auch den Kom­munen das Geld und Instand­hal­tung oder gar der Aus­bau der Infra­struk­tur wer­den zu ein­er sehr großen Herausforderung.

Generell ist zu bemerken, dass viele Fis­ch­er, und ins­beson­dere die junge Gen­er­a­tion, ihre Lebensweisen nicht mehr fort­führen kön­nen. Kleine Kom­munen erfahren große Auswan­derun­gen beson­ders der jun­gen Gen­er­a­tion, was in Ortschaften von z.B. 200 Men­schen sehr deut­lich zu spüren ist.

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Robben­felle im Polar­mu­se­um in Tromsø

Sehr drastisch sind auch die Auswirkun­gen auf die Men­schen, die in der Robben­ver­ar­beitung arbeit­en, da auf­grund der Schließung der europäis­chen Märk­te, seit 2006 zwei Fab­riken schließen mussten. In Kom­munen mit 1000 Ein­wohn­ern hat ca. 1/10 der Men­schen die Arbeitsstelle ver­loren, natür­lich mit drastis­chen sozio-ökonomis­chen Kon­se­quen­zen für alle Beteiligten. Jet­zt gibt es noch eine große Fab­rik im Süden Neu­fund­lands, die nur noch 38 Men­schen beschäfti­gen kann. Sollte diese Fab­rik schließen ver­lieren ganze Fam­i­lien ihr Einkommen.

Man darf auch nicht vergessen, dass Fis­chfang und Robben­jagd einen wesentlichen Bestandteil der neu­fundländis­chen Iden­tität aus­machen. Viele Men­schen haben in der Robben­jagd ihr Leben ver­loren und in vie­len Gemein­den ist die Erin­nerung an diese sehr lebendig. Gedichte und Lieder sowie Gedenkstät­ten find­en sich über­all und der Ver­lust der Kon­trolle über ihre Lebensweisen, bes­timmt durch Diskurse gegen die Jagd, ist ein drastis­ch­er Iden­titätsver­lust für Neufundländer.

Was tun die Robben­jäger, um die Ein­nah­mev­er­luste durch das Ver­bot auszugleichen?

Robben­jäger haben die Möglichkeit, auf andere marine Spezies auszuwe­ichen, wie sie es jet­zt auch tun. Allerd­ings bringt das mas­sive Einkom­mensver­luste mit sich. Über kurz oder lang heißt dies aber, dass sich die Gemein­den auflösen, da wed­er Fis­chfang oder Robben­jagd ökonomisch sin­nvoll wären. In den let­zten 20 Jahren hat Nord-Neu­fund­land ca. 50% sein­er Bevölkerung ver­loren. Und dieser Trend set­zt sich weit­er fort.

Die Arbeit­er in der Indus­trie haben ganz wenige oder kein­er­lei Alter­na­tiv­en. Entwed­er sie behal­ten ihre Jobs oder sie sind arbeit­s­los mit entsprechen­den Auswirkun­gen auf ihre Fam­i­lien und auf das Woh­lerge­hen in den Gemein­den. Viele Arbeit­er in der Indus­trie haben ihr Leben in der Fisch- oder Robben­ver­ar­beitung ver­bracht. Ganze Fam­i­lien arbeit­en in der Indus­trie und die Region erlebt große Schwankun­gen in der Leben­squal­ität, die auf den Schwankun­gen in der Robbenin­dus­trie und den inter­na­tionalen Märk­ten für Robben­pro­duk­te basieren. Wenn also die Robbenin­dus­trie voll­ständig zusam­men­brechen sollte, wird auch der Süden der Insel, in dem sich das let­zte verbleibende Werk zur Ver­ar­beitung von Robben­pro­duk­ten befind­et, große Integrität­sprob­leme bekom­men und Fam­i­lien auseinan­der­reißen. Dies ist wenig bekan­nt und es gibt bish­er keine wirk­lichen Stu­di­en zur Robbenin­dus­trie. Somit ist es so, dass ein Zusam­men­bruch der Jagd einen Domi­no­ef­fekt aus­lösen kann von dem tausende Men­schen betrof­fen wären beziehungsweise schon betrof­fen sind.

Glaub­st du, dass es länger­fristig möglich ist, auch ohne die Robben­jagd im Nor­den Kanadas zu (über)leben? Also andere Wirtschaft­szweige zu etablieren oder ist die Bevölkerung dort völ­lig vom Verkauf von Robben­pro­duk­ten abhängig?

Dies ist eine Frage, die so nicht zu beant­worten ist. Natür­lich, Über­leben ist immer möglich, allerd­ings zu welchem Preis? Inu­it, die genau­so von dem Han­delsver­bot betrof­fen sind, müssen einen wesentlichen Teil ihrer Kul­tur aufgeben und sich weit­er­er West­ern­isierung aus­set­zen. Neu­fundlän­der müssen ihre Dör­fer oder gar ihre Prov­inz ver­lassen, um weit­er Beschäf­ti­gung zu find­en. Nicht zu sprechen vom ein­herge­hen­den Iden­titätsver­lust. Bish­er gab es noch keine wirk­lichen Alter­na­tiv­en, die dem Wohle der Men­schen zu Gute hät­ten kom­men können.

Somit ist zu sagen: natür­lich, es ist möglich, ohne die Robben­jagd zu leben, aber die Auswirkun­gen auf Zusam­men­halt von Fam­i­lien, Gemein­den und Regio­nen sowie auf die Kul­tur, Tra­di­tion und Iden­tität von Neu­fundlän­dern wäre sehr drastisch.

Als sech­ster Teil der Serie zum EU-Han­delsver­bot mit Robben­pro­duk­ten wird näch­ste Woche ein Inter­view mit der Robben­schützerin Sheryl Fink erscheinen.

Teil 4 — “Die Auswirkun­gen sind drastisch” (erster Teil des Inter­views mit Niko­las Sellheim)

Teil 3 — EU Han­delsver­bot für Robben­pro­duk­te gefährdet Lebensweise der Inuit

Teil 2 — Robben­jagd – ein umstrittenes Geschäft

Teil 1 — Das EU-Han­delsver­bot für Robben­pro­duk­te – eine poli­tis­che Entscheidung?

1 Kommentare

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