von Jannik Gronemann
Die Triers scheinen eine filmbegabte Familie zu sein. Lars von Trier hat sich als mutiger Regisseur und Enfant Terrible schon lange einen Namen gemacht und auch sein entfernter Verwandter Joachim Trier konnte zuletzt auf die Erfolge seiner ersten zwei norwegischen Filme „Reprise“ und „Oslo, 31. August“ in Form seines ersten internationalen Films „Louder Than Bombs“ aufbauen, der in den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes lief. Jetzt macht sich auch dessen jüngerer Bruder Emil daran die Filmwelt zu erobern. Wie es sich für einen angehenden Regisseur gehört, natürlich zunächst mit einem Kurzfilm. In knackigen 25 Minuten wird eine Geschichte erzählt, die vieles, aber nicht alles richtig macht.
Christian hat die norwegische Suburbia eigentlich hinter sich gelassen. Der ambitionierte Endzwanziger wohnt mittlerweile in New York und arbeitet dort für die UN. Doch anlässlich eines sommerlichen Familienbesuchs ist er für kurze Zeit wieder in der Heimat. Bei der Ankunft im Elternhaus zeigt sich seine Mutter etwas besorgt, da Christians 17-jähriger Bruder Terje am Folgetag eigentlich für ein Auslandsjahr in die USA fliegen soll, und sie sich unsicher ist, ob er den Schritt überhaupt gehen wird. Christian — der sich genervt darüber zeigt, dass sein Bruder statt der renommierten High School in NY die lasche „High Point“-High School in Seattle gewählt hat, um seiner Snowboard Leidenschaft nachzugehen — soll also seiner Vorbildfunktion als großer Bruder nachkommen und Terje überreden die Reise anzutreten.
Der hat auf Ratschläge vom Bruder aber scheinbar so gar keinen Bock. Als Christian sich nähert, unterbricht er das Gespräch mit einem Nachbarn und rast auf seinem Motorroller davon. Der stehengelassene Nachbar entpuppt sich als Erland, ein alter Jugendfreund von Christian. Zusammen machen die beiden sich auf, um Terje zu finden. Die Suche wird zu einer kleinen Odyssee, die nicht nur durch die Lebensrealität der örtlichen Jugend führt, sondern auch zu einer Reise in Christians eigene Vergangenheit. Mit jedem weiteren Schauplatz, an dem sie Terje vermuten, aber stattdessen nur seine Freunde antreffen, tritt Christian zurück in eine Welt von der er sich emanzipiert glaubte. Die mühsam aufgebaute Fassade des abgeklärten, mondänen Karrieremenschen bröckelt und er ist wieder damit konfrontiert wie es war ein verunsicherter, verplanter Teenie zu sein.
Erland fungiert dabei als Vermittler und Bindeglied zwischen der von Christian verkörperten seriösen Erwachsenenwelt und der träumerischen Jugend, die kurz davor ist die Schulzeit hinter sich zu lassen. Und hierin liegt auch eigentlich der einzige Vorwurf, den man „High Point“ machen kann: Als Christian Unverständnis über Terjes Verhalten äußert, erinnert ihn Erland mit Anekdoten daran wie es war ein Jugendlicher zu sein. Hierbei wirkt er in seiner vermittelnden Rolle noch verständnisvoll und wissend. Als die beiden jedoch auf einer Sommerparty von Terjes Freundeskreis aufschlagen, folgen verschiedene Szenen in denen Erland die Teenies mit fast soziologischem Interesse über ihre Träume, Zukunftsvorstellungen und Prioritäten ausfragt. Das mutet zuweilen wie ein Holzhammer Stilmittel an, welches sich unangenehm von der sonst doch sehr stimmigen Narration abhebt. Außerdem fühlt man sich ein bisschen an eine Szene aus Joachim Triers „Oslo, 31. August“ erinnert, in der der desillusionierte Hauptcharakter in einem Café sitzt und zwei Mädchen zuhört, die sich darüber austauschen, was sie alles noch erleben wollen.
Neben weiteren Szenen, die an das Meisterwerk des großen Bruders angelehnt zu sein scheinen, hilft bei der Einordnung von „High Point“ aber vor allem ein Blick auf Emil Triers eigenes Frühwerk. Im Jahr 2010 fertigte er für den norwegischen Künstler Torgny, der auch einen Großteil des Soundtracks für „High Point“ beisteuert, eine Musikvideo-Trilogie an. Auf eindrückliche Weise greift er hier in dokumentarischen Bildern in jedem Video verschiedene subkulturelle Aspekte der norwegischen Jugend auf. Im Video zum Song „Big Day“ zeigt er beispielsweise die „Russ“. Das sind die angehenden Abiturientinnen, die in roten Latzhosen in zu mobilen Nachtclubs umfunktionierten Reisebussen durch das Land fahren und Party machen als gäbe es kein Morgen. In Kombination mit der melancholischen Musik Torgnys schafft das Video diese Zeit der Unbeschwertheit, die für viele Norweger aber auch das Ende eines Lebensabschnitts bedeutet, punktgenau einzufangen.
Diese Faszination für den flüchtigen Lebensabschnitt zwischen Jugend und Erwachsensein zieht sich auch durch „High Point“. Auf der Gartenparty sinniert ein Teeniemädchen: „Aber glaubst du nicht es kann ein Stadium zwischen Jugend und Erwachsensein geben? Man wird doch vom Jugendlichen nicht direkt zum Erwachsenen!“. Vielleicht ist das der „High Point“, dem Emil Trier in seinem bisherigen Werk nachjagt. Der Punkt an dem die Unschuld der Kindheit von einem abgefallen ist, die Sommer noch ewig und die Möglichkeiten endlos erscheinen, aber auch die erste Verantwortung schon hinter der nächsten Ecke lauert.
Es wird spannend zu sehen sein, ob Emil Trier dieses Motiv auch in seinem Langspielfilm-Debüt aufgreift, an dem er derzeit bereits arbeitet. Stilistisch sollte er sich dabei zwar vielleicht noch etwas mehr von seinem erfolgreichen Bruder emanzipieren — so wie Terje das in „High Point“ von Christian tut – aber wenn er das hier gezeigte Talent beibehält, wird der Name Trier auch zukünftig für verlässliche Filmqualität stehen.
High Point — Trailer:
Info:
Titel: High Point
Regie: Emil Trier
Produktionsjahr: 2014
Produktionsland: Norwegen
Darsteller: Christian Rubeck, Glenn Erland Tosterud, Oscar Westerheim
Länge: 25 Minuten