Stirb langsam! Seeehr langsam!

Co-Autor Roland Dathe

Es ist dunkel. Drama­tis­che, klas­sis­che Musik ist zu hören. Es bleibt dunkel. Minuten­lang. Endlich hebt sich langsam der Vorhang und gibt den Blick auf ein Dio­ra­ma frei. Ein Kriegss­chau­platz im Mor­gen­grauen. Kleine Feuer lodern, eine weiße Flagge und Leichen zeu­gen von der vor­ange­gan­genen Schlacht. Über der den­noch roman­tis­chen Kulisse wölbt sich ein erhaben­er Him­mel, der sich mit dem Anschwellen der Musik erhellt.

Kein gewaltiges Büh­nen­bild, aber dur­chaus stim­mungsvoll. Dann passiert es: Nichts. Abge­se­hen von der Musik tut sich weit­ere Minuten lang nichts. Gut, wir lassen also die Szene auf uns wirken — und zwar aufs Inten­sivste. Das kann man machen, zwei oder drei Minuten, aber nach knapp zehn begin­nt man, sich allmäh­lich satt zu sehen.

Plöt­zlich taucht eine über den Pap­phügel tas­tende Hand auf, woraufhin sich ein zu der Hand gehören­der Sol­dat unter Stöh­nen und Ächzen über den Hügel hievt und geräuschvoll, aber wort­los ver­sucht sich aufzuricht­en und immer wieder in sich zusam­men­fällt. Begleit­et vom Pathos der Musik schwankt der Sol­dat nun von ein­er Seite zur anderen, fällt, richtet sich auf, fällt, reckt seinen Säbel kämpferisch gen Him­mel, fällt, spuckt Blut, lei­det unter sein­er Ver­let­zung und stöh­nt, schre­it, jam­mert, weint und röchelt sich durch ins­ge­samt 60 Minuten.

Er ist und bleibt der einzige Pro­tag­o­nist des Stücks und sagt dabei nicht ein einziges Wort. Dann passiert doch etwas — denkt man zumin­d­est, wenn die Musik sich gele­gentlich erhebt. Das bleibt doch nicht so — denkt man zumin­d­est. Aber falsch gedacht, wieder nichts.

Bis let­ztlich doch mit einem Funken­schlag die (von allen) ersehnte Erlö­sung kommt und dem bis dahin end­los scheinen­den Wanken und Keuchen ein Ende set­zt. Mit dem Bajonett in der Hand fällt der Sol­dat – dies­mal ohne sich wieder aufzuricht­en. Die let­zten Todess­chreie verklin­gen im Crescen­do des Orchesters.

kriegKrieg“, eine Oper in einem Akt über den Tod eines preußis­chen Sol­dat­en im sieben­jähri­gen Krieg, wurde von dem isländis­chen Kün­stler Rag­nar Kjar­tans­son für die Volks­bühne entwick­elt. Die Musik kom­ponierte Kjar­tan Sveins­son (Sig­ur Rós) und wurde vom Deutschen Fil­morch­ester Babels­berg einge­spielt. Den ster­ben­den Sol­dat­en gibt Max­i­m­il­ian Brauer.

Doch was lässt sich eigentlich über ein Stück sagen, das hand­lungsärmer nicht sein kön­nte, obwohl es ums Ster­ben – um eines der größten The­men des Lebens – geht?
Mit etwas gutem Willen kann man natür­lich ein Gemah­nen an die Ein­samkeit des Ster­bens und die Sinnlosigkeit des Krieges in die Insze­nierung hinein­in­ter­pretieren. Oder dass diese exzes­siv ereignis­lose Lan­gat­migkeit die Helden­tode Hol­ly­woods entza­ubern soll. Qua­si als Kontraposition.
Weniger wohlwol­lend fragt man sich jedoch eher, warum man eine Stunde seines nun mal endlichen Lebens diesem aus Wanken, Schreien, Keuch- und Röchel­laut­en beste­hen­den Stück wid­men sollte. Obwohl eben diese Laute Brauers spätestens nach 15 Minuten äußerst unan­genehm wer­den, fühlt man sich nicht ern­sthaft von seinem Todeskampf berührt. Sein Lei­den überzeugt nicht. Das Absurde überwiegt.

Als der Vorhang fällt, erklin­gen vere­inzelt Jubel­rufe. Diese scheinen aber Aus­druck der Erle­ichterung darüber, dass das Leid ein Ende hat, als Beifalls­bekun­dun­gen ob des ger­ade Erlebten zu sein. Auch der Applaus fällt eher spär­lich, min­destens etwas zöger­lich und ungläu­big aus.

Entwed­er ist „Krieg“ eine Art der Kun­st, die wir nicht vol­lends ver­ste­hen oder ganz ein­fach ein Stück, bei dem man sich gut über­legen sollte, seine Zeit und Geduld (und die 25 € für die Karte) nicht lieber woan­ders zu investieren. Wer sich gegen let­zteres entschei­det, kann das noch bis zum 17. April tun. Wie die Volks­bühne so schön schrieb: „Max­i­m­il­ian Brauer stirbt am 23. März 2016 sowie am 8. und 17. April 2016 immer um 19:00 Uhr.“

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