Die meisten Besucher, die es an den nordlichsten Punkt Europas zieht, wollen vor allem den weltberühmten Globus am Nordkap bestaunen. Auch ich habe ihn natürlich schon oft besucht und wie oft ich ihn seitdem gesehen bzw. wegen des Nebels nicht gesehen habe, weiß ich schon gar nicht mehr. Und obwohl er wirklich mit Recht DAS Symbol der Magerøya ist, verbirgt diese Insel viele andere unbekannte, aber mindestens genau so interessante Orte. Wahrscheinlich würden es diese nicht auf eine Liste der Top 100 Destinationen, die man im Leben besuchen muss, schaffen. Wenn man aber etwas Zeit auf der Magerøya hat und mehr machen will, als nur ein Sprungbild unter dem Globus, sollte man auf jeden Fall ein bisschen umher streunen. Denn bei schönen Wetter (d.h. weder Regen noch Nebel) macht es unheimlich viel Spaß, die Magerøya zu Fuß zu erkunden. Einer der ersten Wanderwege, die jedem Neuankömmling empfohlen werden, führt nach Kjelvik: einst das Zentrum der Kommune, heute nur noch ein Geisterdorf.
Angeblich spukt es in der Bucht, in der sich früher ein wichtiger Handelshafen befand, wo aber auch “Hexen” verbrannt wurden und heutzutage nur die mutigsten Abenteuerer einige Tage im Sommer verbringen wollen. Ob wir denn keine Angst vor Geistern haben und sicher keine Hexen seien, werden wir daher auch am Anfang der Wanderung nach Kjelvik von unseren zwei einheimischen Begleitern gefragt.
Mit leichtem Kribbeln im Körper schauen wir gute anderthalb Stunden später von einem Hügel herunter auf das verlassene Dorf. Für ca. 4 Millionen Kronen könnte man es heute kaufen. Im Preis enthalten ist ein alter Friedhof, mit Gras bewachsene Grundstücke, etwas, das einst ein Fußballplatz gewesen sein könnte, ein paar noch stehenden Holzhäuser und die Insel, auf der die Hexenverbrennungen stattfanden. Jemand interessiert?
Kjelvik ist nur einer der verlassenen Orteauf der Magerøya. Abhängig von der Entwicklung des Fischhandels, der Modernisierung der Schiffe, (nicht) vorhandener Infrastruktur usw., sind die Einwohner schließelich immer dorthin gezogen, wo das Leben für sie gerade am Einfachsten war. Geblieben sind nur leerstehende Häuser und Fischfabriken.
Es ist kaum zu glauben, dass Kjelvik einst der wichtigste Ort der gesamten Insel war. Aufgrund seiner früheren Bedeutung gehört er gegenwärtig zu den archeologischen Kulturdenkmälern unter dem Schutz der norwegischen Denkmalschutzbehörde Riksantikvaren.
Der erste Eindruck von Kjelvik ist also wirklich etwas gruselig. Wenn man aber eine Weile am Strand gesessen, und ganz gemütlich ein finnisches Bier getrunken, hat, kommt es einem beim zweiten Anblick nicht ganz so schlimm vor. Die für die Magerøya typischen, steilen, mit Moos und Flechten bewachsenen Felsen um den Ort herum, das Geschrei der Möwen, der sausende Wind, einige Boote im Hafen und sogar die Wimpel vor einem der Häuser, die doch die Anwesenheit einiger Menschen bezeugen, geben dem Ort eine eigenartige, fast mystische Atmosphäre.
Wir verlassen das Dorf wieder über einen Pfad unterhalb der Felsen, der von riesigen Blumenteppichen gesäumt ist und unter den ständigen Rufen unserer Begleiter: “Buuuuuuuuuu!” Es gibt hier ja Geister, das darf man nicht vergessen!