Jan Kjærstad: Berge

Jan Kjærstad: BergeFoto: Besser Nord als nie!

von Mar­ti­na Sander

Im Som­mer 2008 wer­den ein hochrangiges Mit­glied der Arbeit­er­partei, Arve Store­f­jeld, und vier Mit­glieder sein­er Fam­i­lie, darunter ein achtjähriges Mäd­chen, mit aufgeschlitzten Kehlen in ein­er Hütte am See gefun­den. Ganz Nor­we­gen ist in den Grund­festen erschüt­tert und sich­er, dass der islamistis­che Ter­ror im Nor­den angekom­men ist. Kein Nor­weger, niemals, würde ein Kind abschlachten.

Die Geschehnisse wer­den aus drei Per­spek­tiv­en rekon­stru­iert. Im ersten Drit­tel erzählt Ine Wang, eine Jour­nal­istin auf dem absteigen­den Ast, die durch eine schon fer­tige Biografie Store­f­jelds in der Schublade plöt­zlich ein beru­flich­es Come­back erlebt und von den Mor­den prof­i­tiert. Der zweite Erzäh­ler ist der mit dem Fall befasste Richter, der bish­er bei banalen Nach­barschaftsstre­it­igkeit­en geurteilt hat und sich nun mit neuen Her­aus­forderun­gen kon­fron­tiert sieht, mit Gefühlen des Has­s­es und der Sym­pa­thie gegenüber dem Angeklagten. Die dritte Gedanken­kette entste­ht in der Gefäng­niszelle, der Beschuldigte Berge reflek­tiert selbst.

Jan Kjaer­stad hat ein kleines „Utøya“ zeitlich vorver­legt, mit vie­len Ver­weisen auf die Insel selb­st. „Berge“ ist allerd­ings kein Krim­i­nal­ro­man, wen­ngle­ich ein Ver­brechen geschehen ist und es einen Ver­such der Aufk­lärung gibt. „Berge“ ist vor allem ein poli­tis­ch­er Roman, der aufzeigt, wie sich seit Anders Breiviks Ter­ro­ran­schlä­gen die nor­wegis­che Iden­tität ver­schoben hat. Kjaer­stad ist es wichtig zu zeigen, wie ein Land auf eine so schreck­liche Tat reagiert, wie schnell es zu Schuldzuweisun­gen kommt, wie Ver­ant­wor­tung zurück­gewiesen wird. Die Medi­en wollen zwar aufk­lären, aber vor allem die Ersten sein, die schmutzige Details aus­bre­it­en. Das Volk lässt sich manip­ulieren und über­sieht, was ihre nor­wegis­che Iden­tität aus­macht. Kjaer­stad legt den Fin­ger auch auf die Wunde der schmutzi­gen Parteipoli­tik, zeigt wie Posten durch Lob­by­is­mus, Macht und Ränke beset­zt wer­den und wie poli­tis­che Grabenkämpfe aus­ge­tra­gen wer­den. Sym­pa­thisch sind seine Pro­tag­o­nis­ten hier nicht, es sei denn, sie schmieren Sand­wich­es und mix­en Cocktails.

Schwere The­men auf vie­len Seit­en. Doch Kjaer­stads Roma­nen haftet immer ein gewisse Leichtigkeit an: Es gibt Musik, es gibt Sex und viele alko­holis­che Getränke. Es gibt Bars mit Exzen­trik­ern und vor allem viel Genuss. Das macht auch dieses Buch bei aller Tragik und dem Wis­sen um Utøya nicht nur poli­tisch und gesellschaft­skri­tisch, son­dern auch sehr les­bar und ger­adezu vergnüglich.

Info:
Jan Kjærstad: Berge
Aus dem Nor­wegis­chen von Bern­hard Stro­bel
Sep­time Ver­lag, 504 Seiten

Jan Kjærstad im Inter­view mit Bess­er Nord als nie!